Das Blumenorakel
weiteren Esser ausreichte?
Ausgerechnet jetzt, wo Kuno so schwächlich war, schleppte Friedrich ein Lehrmädchen an! Diese Flora würde dem Vater eine Hilfe im Laden sein, behauptete er. Er meinte es sicher gut, aber was wusste der Bub vom wahren Leben? Und â wenn man schon einmal dabei war â was wusste Kuno davon?
Es war Ernestine klar, dass Hausangestellte untereinander schwatzten wie Klatschweiber. So und so sieht es bei dieser Familie zu Hause aus. Und so und so bei jener. Zumindest behauptete Gretel dies. Sie musste es wissen â in der Apothekeihres Gatten arbeiteten fünf junge Mädchen, allesamt schwatzhaft, gewiss!
Ein Runzeln zog über Ernestines Stirn. Was Sabine wohl über sie erzählte? Womöglich hieà es in der Stadt, dass sie gar keinen feinen Haushalt führte â Himmel hilf!
Eine Suppe. Heute Mittag würde es eine Suppe geben. Oder Eintopf? Klare Brühe?
Diese Flora Kerner â Ernestine wusste immer noch nicht ganz genau, wie Friedrich das Mädchen kennengelernt hatte â sollte mit dem Mittagszug ankommen. Wahrscheinlich würde sie irgendwann nach dem Essen bei ihnen auftauchen. Das war gut, so musste sich Ernestine nicht auch noch Gedanken um ein BegrüÃungsessen machen.
Sie kaute auf ihrer Feder herum. War ein BegrüÃungsessen bei dieser Flora eigentlich angebracht?
»Flora Kerner will die Blumenbinderei lernen. Im Gegenzug wird sie Vater bei der Arbeit entlasten. Ihr werdet mir noch dankbar sein für diese Regelung«, hatte Friedrich in seiner üblichen lapidaren Art und Weise gesagt.
Dankbar? Was sich ihr Sohn manchmal so zusammenreimte!
Seufzend schaute Ernestine aus dem Fenster. Noch war das Lehrmädchen nicht zu sehen â dem Himmel sei Dank. Dafür aber die schreckliche Baustelle direkt vor ihrer Haustür.
Die Hälfte der StraÃe war zu einem riesigen Graben aufgerissen, Fuhrwerke, StraÃenarbeiter und FuÃgänger mussten sich die andere StraÃenhälfte teilen. Arbeiter schaufelten riesige Sandberge von rechts nach links oder standen einfach im Weg herum, jeder beschimpfte jeden â was für ein Tollhaus!
Als sie gestern bei Walbuschs war, um Nähseide zu holen â sie hatte mehrere Brauntöne zu Hause, aber keiner davon war dunkel genug für die Bluse, deren Saum sie damit hatte umnähen wollen â, war es ihr gerade noch gelungen, zwei Arbeitern auszuweichen, die lange Rohrstücke von der Ladefläche eines Pferdefuhrwerks wuchteten, ohne sich zu vergewissern, ob gerade jemand des Weges kam. Statt sich zu entschuldigen,hatten die Männer sie noch angeherrscht, sie solle sich davonmachen.
Im nächsten Moment sah Ernestine Sabine mit einem prall gefüllten Einkaufskorb über dem Arm um die Ecke biegen. Ihre Wangen waren rot, die Lippen geschürzt, als würde sie ein Liedchen pfeifen wie ein Gassenjunge. Wie konnte ein Mensch nur derart sorglos sein?
Lugten da nicht Lauchstangen aus dem Korb? Ernestine konnte sich nicht erinnern, Lauchstangen auf den Einkaufszettel geschrieben zu haben. Wie kam die Magd also dazu, Lauchstangen zu kaufen?
Andererseits â eine Lauchsuppe mit etwas Rahm wäre nicht das Schlechteste für den Mittagstisch. Oder als BegrüÃungsessen für den Abend? Dazu ein silberner Kerzenleuchter auf dem Tisch, und schon sah das Mädchen, dass es in einem guten Haushalt gelandet war.
Unvermittelt wurde Ernestine etwas leichter ums Herz. Nun würde sie den Rest des Speiseplanes zusammenstellen! Mit Schwung tauchte sie die Feder ins Tintenfass.
Eierstich-Consommé. Gesottene Selleriestreifen mit Rinderzunge. Apfelkompott. Möhrensuppe mit â¦
Nur ungern unterbrach sie ihre Arbeit, um mit ihrem Mann zu Mittag zu essen. Friedrich hatte am Morgen gesagt, dass er nicht heimkommen würde, was bedeutete, dass das Mittagsmahl eine stille und kurze Angelegenheit wurde.
Kaum war der Tisch abgeräumt, machte sich Ernestine wieder an die Arbeit. Zu dem Kaffeefleck an ihrem Ãrmel hatte sich ein weiterer aus SoÃe gesellt. Wie ärgerlich ⦠Stirnrunzelnd schaute Ernestine auf, als es an der Tür klopfte. Sabine stand im Türrahmen und neben ihr â
»Die Württembergerin! Oje, was machst du denn schon hier?«
8 . K APITEL
W ie viel anders hatte Flora dieses Mal ihren Einzug in die Stadt erlebt!
Das Hotel Bayerischer Hof, das ihr im Winter so
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