Das Blumenorakel
sein schien, und dann einen weiteren Blick auf Sabine. Das Dienstmädchen sah über die Tatsache, von nun an eine Zimmergefährtin zu haben, nicht gerade erfreut aus.
»Wie froh bin ich, hier sein zu dürfen! Diese Pracht â ob es im ganzen Kaiserreich eine schönere Stadt als Baden-Baden gibt?«, sagte Flora zu Sabine, während sie ihre Siebensachen in das Schrankfach packte, das die Hausherrin ihr zugeteilt hatte.
Sabine erwiderte lakonisch: »Wenn die Sonne scheint, ist es überall schön. Aber wehe, es regnet â dann wirkt die Stadt wie ausgestorben, denn all die feinen Dämchen, die heute mit Sonnenschirm die Lichtenthaler Allee entlangflanieren oder sich spazieren fahren lassen, sitzen in ihren feinen Salons, die unsereins heizen darf. Und noch was«, fügte sie mürrisch hinzu. »Glaub ja nicht, dass ich dir das Bett mache, bloà weil du bei der gnädigen Madam mit am Tisch sitzen wirst.«
»Schon gut.« Flora riss ihr das Bettzeug aus der Hand. »Ich brauche kein Kindermädchen.« Sie seufzte laut. »Was um alles in der Welt soll ich denn jetzt machen? Ich kann doch nicht stundenlang hier in der Kammer hocken â¦Â«
Abendessen gäbe es um halb sieben, dann würde man Flora im Salon erwarten, hatte Frau Sonnenschein gesagt, bevor sie sich zu ihrem Mittagsschlaf zurückzog. Kein Wort darüber, wann ihr Mann zurückkäme. Kein Wort über den Blumenladen, geschweige denn über Aufgaben, Arbeitszeiten und dergleichen.
»Da hat mein erster Arbeitstag in der Reutlinger Gärtnerei damals aber ganz anders ausgesehen«, sagte Flora und erzählte Sabine davon, wie sie bis in den Abend hinein Hunderte von Kohlrabipflänzchen pikiert, den Komposthaufen umgegraben und schubkarrenweise Humus in eines der Gewächshäuser gefahren hatte.
Sabine kicherte. »Bevor du dich langweilst, kannst du mir gern in der Küche helfen.« Sie nahm Flora einen Bezug wieder aus der Hand und stopfte das Kissen hinein.
Flora warf ihr einen dankbaren Blick zu. »Täusche ich mich oder kommst du auch aus dem Württembergischen?«
Sabine bestätigte dies â sie stamme aus Leonberg und sei die älteste von sechs Geschwistern, die sie allesamt um die Stelle beneideten, erzählte sie.
»AuÃer Kost und Logis bekomme ich noch ein paar Kreuzer zusätzlich, die Frau Sonnenschein für mich spart. Falls ich mal eine Aussteuer benötige, kann ich das Geld dafür nehmen, sagt sie.« Sie zog eine Grimasse. » Falls ich mal eine Aussteuer benötige  â na, das will ich doch hoffen!«
Flora lieà sich auf ihr Bett sinken. »Und â wie lange bist du schon hier?« Sie klopfte auf den Platz neben sich.
»Seit einem Jahr«, erwiderte Sabine und setzte sich. »Damals haben sie das Fräulein Sonnenschein ins Kloster gesteckt. âºSchön ist sie nicht und besonders klug auch nicht â was hätten wir auch sonst mit ihr machen sollen?â¹, habe ich Frau Sonnenschein sagen hören, während Sybille â so heiÃt die Tochter â danebenstand. Ganz belämmert hat sie dreingeschaut.«
Flora runzelte die Stirn. »Ich dachte, das Fräulein Sonnenschein wäre freiwillig ins Kloster gegangen?«
Sabine zuckte mit den Schultern.
»Und was ist mit dem Sohn der Familie?«, fragte Flora neugierig.
»Den Friedrich sieht man kaum. Er geht noch vor dem Morgenmahl aus dem Haus, er arbeitet in der Trinkhalle. Und oft kommt er so spät zurück, dass das Abendessen längst vorüber ist.« Dem Dienstmädchen war ein leises Bedauern anzuhören.
»Er redet sehr ernst daher, wie die anderen auch, aber ein stattlicher Bursche ist er schon! Doch für unsereins hat der keine Augen.« Sabine seufzte so tief auf, dass Flora lachen musste.
»Na, so schwer wird das Leben hier doch nicht sein, oder?«
»Hm â¦Â« Es war Sabine anzusehen, dass sie mit sich kämpfte, was und wie viel sie von sich und ihren Ansichten Flora gegenüber preisgeben sollte.
»Was mich angeht, ich hab Arbeit genug, die gnädige Frau hat das Schaffen nämlich nicht erfunden ⦠Einkaufen, kochen, die Wäsche, das Haus und den Laden putzen â alles allein meine Aufgaben, während sie mir ständig über die Schulter guckt! Aber ich will mich nicht beklagen, ich habs besser als zu Hause mit den Geschwistern und der
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