Das Blumenorakel
Luft. Jetzt nur nicht lockerlassen.
»Bei der Familie wäre ich gut aufgehoben. Und es wäre nur bis zum Herbst.« Unruhig ihre Hände wringend, schaute Flora zwischen den Eltern hin und her. »Bitte â¦Â«
Weder Helmut noch Hannah brachten es am Ende fertig, Flora ihren Herzenswunsch abzuschlagen. Welchen triftigen Grund hätten sie auch gehabt? Da die Zwillinge anboten, Floras Arbeit auf den Feldern mit zu übernehmen, und man auÃerdem beschloss, die Blumenbeete hinten im Garten brachliegen zu lassen, würde ihr Fehlen nicht besonders ins Gewicht fallen.
»Ich höre die Leute jetzt schon lästern, wenn sie erfahren, dass wir unsere Flora ein zweites Mal in die Blumenbinderlehre schicken!«, unkte Hannah, aber jeder in der Familie wusste, dass ihr die Meinung der Dorfbewohner eigentlich gleichgültig war.
Als die Tochter allerdings eine Woche später tatsächlich ihr Bündel packte, war es sowohl Helmut als auch Hannah schwer ums Herz. Doch statt sich dies anmerken zu lassen, gaben sie ihr gute Wünsche, ein Paket Sämereien als Gastgeschenk und etwas Taschengeld mit auf den Weg. Natürlich lieà Helmut es sich nicht nehmen, Floras Gepäck bis zum Bahnhof zu tragen.
AuÃer ihm und Hannah war auch noch Floras beste Freundin Suse zum Verabschieden gekommen. Sie hatte feuchte Augen, versuchte aber wie die anderen, dies zu überspielen.
»Was ist nur los mit uns?«, rief Hannah. »Als Samenhändler sind wir das Abschiednehmen doch Jahr für Jahr gewöhnt. Eigentlich müssten wir darin eine gewisse Ãbung haben!«
Helmut seufzte. »An manche Dinge gewöhnt man sich nie. Sie fallen einem mit der Zeit eher noch schwerer.«
Die Arme in die Hüften gestemmt, musterte Suse Flora mit kritischem Blick. »Womöglich sind dir in Wirklichkeit die Blumen egal und du ziehst nur nach Baden-Baden, weil die Familie Sonnenschein einen interessanten Sohn hat.«
»Wer wei� Dann heirate ich ihn, und schon gehört der ganze Blumenladen mir«, sagte Flora und sie und Suse begannen zu kichern.
»Suse! Solche Witze sind nun wirklich nicht angebracht«, mahnte Hannah kopfschüttelnd, doch sowohl ihr als auch Helmut war es angesichts der Fröhlichkeit der beiden jungen Frauen ein wenig leichter ums Herz geworden.
Den Kopf an Helmuts Brust gelegt, schaute Hannah dem Zug nach. Erst als der letzte Wagen nur noch ein dunkler Punkt in der Ferne war, lieà sie ihren Tränen freien Lauf.
»Es ist schlieÃlich nur für einen Sommer«, murmelte Helmut in ihr vom Wind zerzaustes Haar.
»Das wissen wir doch noch gar nicht«, schluchzte Hannah und zog geräuschvoll die Nase hoch.
7 . K APITEL
O bwohl es erst kurz vor Mittag war, fühlte sich Ernestine Sonnenschein schon so erschöpft wie nach einem anstrengenden Tagwerk. Mit zitternden Knien setzte sie sich in einen der beiden Polstersessel, die zum Fenster hin ausgerichtet waren. DrauÃen lachte die Sonne vom blauen Himmel und erinnerte Ernestine daran, dass es höchste Zeit war, sich um den Garten zu kümmern. Ordentliche Hausfrauen machten dies viel früher im Jahr. Aber hätte sie dem armen Kuno auch noch das Umgraben der Beete aufbürden sollen? Oder ihn bitten, die Hecke zu schneiden? Wo er doch oft zu müde war, um die einfachsten Dinge zu erledigen. Ein Zustand übrigens, den sie gut nachempfinden konnte.
Um den Garten konnte sie sich nicht kümmern. Zumindest im Augenblick nicht.
Ernestines Augenlider flatterten nervös, als sie das jungfräulich weiÃe Blatt Papier neben dem Tintenfass liegen sah.
Sie hatte den Speiseplan für die kommende Woche noch nicht zusammengestellt.
Sie zwang sich, die Augen für einen langen Moment geschlossen zu halten. Doch die ersehnte Ruhe blieb aus. Stattdessen rasten Gedanken wie wild gewordene Hühner durch ihren Kopf. Drei Gänge mittags, wenigstens zwei Gänge am Abend â alles andere hätte für einen ordentlichen Geschäftshaushalt zu ärmlich gewirkt, auch wenn Kuno und Friedrich immer wieder sagten, sie solle nicht solch einen Aufwand betreiben. Kuno meinte sogar, er würde sich abends mit Brot und Käse zufriedengeben.
Brot und Käse?
Ernestine konnte sich nicht daran erinnern, dass ihre Freundin Gretel, die Gattin des Apothekers Grün, je erzählt hätte, bei ihr würden am Abend Brot und Käse auf den Tisch kommen. Ehrlich gesagt sprach
Weitere Kostenlose Bücher