Das Blumenorakel
riesengroà und düster vorgekommen war, wirkte nun mit den vielen Stühlen und Tischen auf der Terrasse sehr einladend. Diesmal sah sie keine durch die Winterkälte eingefrorenen Mienen, sondern lauter Menschen, die glücklich wirkten.
Statt sich vom Bahnhof aus eine Kutsche zu leisten, war Flora frohen Mutes in Richtung Stadt marschiert â über sauber geharkte Kieswege, die von blühenden Kastanienbäumen gesäumt waren. Immer wieder rieselten weiÃe und rosa Blütenschnipsel herunter und verfingen sich auf Floras Haar und Schultern. Es duftete nach Flieder und den ersten Rosen. Wie die Sonne durch die Bäume der Lichtenthaler Allee funkelte â als wandele man unter einem wundervoll beleuchteten grünen Baldachin.
Und dann die prächtigen Kutschen, die ständig an ihr vorbeifuhren! Mit goldenem Zierrat und herrlichen Lackierungen, deren Farbe oftmals im Zaumzeug der Pferde wieder auftauchte.
Das Treiben rund um das Conversationshaus war viel lebhafter als im Winter. Auch hier standen kleine weià lackierte Tische und Stühle vor dem Eingang. Viele der Gäste schienen sich zu kennen, denn sie winkten oder riefen sich GruÃworte zu, in Sprachen, die Flora nicht verstand. So viele Ausländer? Das war ja aufregend â¦
An der Tür des Blumenladens rüttelte Flora vergeblich. Komme gleich wieder stand auf dem Schild, das schräg am Türgriff baumelte. Auch auf ihr Klopfen hin öffnete niemand. Der Laden war geschlossen? Mitten am Tag?
Stirnrunzelnd versuchte Flora, einen Blick durch die Fensterscheibe zu werfen, die mit einem grauen Schleier überzogen war â wahrscheinlich Staub und Schmutz von der nahen Baustelle. Vom Ladeninhaber war nichts zu sehen. Ging es dem alten Herrn womöglich so schlecht, dass er sie nicht begrüÃen konnte?
Mit bangem Gefühl im Bauch schulterte Flora erneut ihr Gepäck. Dann lief sie ums Haus herum, auf der Suche nach dem Eingang zur Wohnung der Sonnenscheins.
Ernestine Sonnenschein seufzte tief auf. »Du liebe Güte, ich weià wirklich nicht, wo der Mann schon wieder ist! Wahrscheinlich macht er Erledigungen, in einem Geschäftshaushalt gibt es ja furchtbar viel zu tun. Nie reichen die Stunden aus, die einem der liebe Gott zur Verfügung stellt, nicht wahr?« Auf ihren Wangen hatten sich rote Flecken gebildet. Mit unruhigen Fingern versuchte sie eine Haarsträhne, die sich aus ihrem Dutt gelöst hatte, wieder festzustecken.
»Der gnädige Herr befindet sich im Schlafzimmer, ihm war nicht gut«, kam es von der Magd.
»Nun denn â¦Â« Hilflos lächelnd reichte Ernestine Sonnenschein der Magd die beiden Haarnadeln, die sich endgültig aus ihrer Frisur gelöst hatten, und drehte ihr dann den Hinterkopf zu, damit sie ans Werk gehen konnte.
»Ab jetzt haben Sie ja mich, ich werde Ihrem Mann schon die eine oder andere Arbeit abnehmen.« Flora versuchte sich an einem Knicks, den die Dame des Hauses jedoch nicht sehen konnte, da sie ihr den Rücken zugewandt hatte.
»Fertig«, sagte die Magd und tippte der gnädigen Frau wie zur Bestätigung einmal auf die Schulter.
Wie lieblos die Magd die lose Haarsträhne festgesteckt hatte! Nicht einmal an der richtigen Stelle. Aber bei der unordentlichen Frisur fiel dies kaum auf ⦠Unwillkürlich fasste sich Flora an ihre eigenen, kunstvoll in Zöpfe gelegten und hochgesteckten Haare.
»Jetzt zeige ich dir zuerst einmal deine Kammer. Bestimmt möchtest du nach der beschwerlichen Reise ein wenig ruhen.« Schwerfällig stieg Ernestine Sonnenschein die schmale Steige hinauf.
»Ausruhen? Kuckucksspucke! Meine Mutter würde mir was erzählen, wenn ich mich gleich am ersten Tag auf die faule Haut legte!« Flora lachte. »Nein, nein, ich stell rasch mein Gepäck ab und danach würde ich mir sehr gern den Laden ansehen. Falls das möglich ist.«
»Sabine â¦Â«, sagte Frau Sonnenschein.
»Oh, lassen Sie nur, ich kann meine Sachen allein tragen.« Doch bevor Flora etwas tun konnte, griff die Magd mit verdrieÃlichem Blick nach der Reisetasche. Flora folgte den beiden Frauen die Treppe hinauf.
Schwer atmend stieà die Dame des Hauses schlieÃlich eine Tür rechts vom Treppenabsatz auf. »Hier sind wir. Du wirst dir mit Sabine ein Zimmer teilen.«
Flora warf erst einen Blick in den Raum, der nicht sonderlich groÃ, dafür aber hell und sauber zu
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