Das Blumenorakel
gewöhnungsbedürftig vielleicht, aber sehrgesund â¦Â« Mit ihrer Gabel spieÃte sie ein Stück Möhre auf, das neben ihrem Teller gelandet war.
»Man kann den Gästen eben nicht vorschreiben, womit sie sich ihre Zeit vertreiben. Die meisten wollen nur ihr Vergnügen«, kam es von Herrn Sonnenschein. Er zupfte eine Falte des Tischtuchs glatt, um seiner Frau bei der Rettung des Möhrenstücks behilflich zu sein.
Eigentlich war Flora todmüde â die lange Anreise, das Gespräch bei Tisch ⦠Doch als Sabine sie fragte, ob sie nicht Lust hätte, einen kleinen Abendspaziergang zu machen, sobald sie die Küche auf Vordermann gebracht hatte, sagte sie spontan zu. Solange es hell war, hatte die Magd Ausgang, aber wehe, sie war bis zum Anbruch der Dunkelheit nicht wieder zurück! In diesem Punkt lieÃe Frau Sonnenschein nicht mit sich reden, erklärte Sabine, während sie mit Flora durch die StephanienstraÃe schlenderte. Um diese Tageszeit hatten die meisten Geschäfte und Werkstätten schon zu, nur hie und da fegte einer vor seiner Tür, und aus den Fenstern roch es nach Sauerkraut und Kartoffelbrei. Die Wirtin der Goldenen Henne, in der Flora im Winter mit ihrer Mutter übernachtet hatte, winkte ihnen durchs Fenster freundlich zu.
Sabine wusste zu jedem Haus und fast jedem seiner Bewohner etwas zu berichten, sodass Flora bald der Kopf schwirrte.
»⦠das hier ist die Schneiderei von Karl-Ottfried Schierstiefel. Er ist ein alter Kamerad vom gnädigen Herrn und kommt fast täglich vorbei. Dann tratschen die beiden wie zwei alte Waschweiber! Und â¦Â« Sabine schien angestrengt nach etwas Ausschau zu halten.
»Ist was?«, fragte Flora.
Die Magd schüttelte heftig den Kopf, doch dann überlegte sie es sich offenbar anders. Sie winkte Flora näher zu sich heran. »Der Schierstiefel, also, der hat einen Gesellen, den Moritz â¦Â«
»Oje, jetzt guckst du wie meine Freundin Suse, wenn sie von ihrem Franz schwärmt.«
»Dass ich einen Schwarm habe, hast du gesagt, nicht ich!«, erwiderte Sabine mit rotem Kopf. »Schierstiefel ist ein alter Geizkragen, bei ihm fällt nie ein Fetzchen Stoff ab. Aber da hinten wohnt auch eine Schneiderin, bei der kann man gut Stoffreste abstauben. Für eine Haarschleife reichts allemal.«
Sie schlenderten weiter.
»Das hier ist die Apotheke Grün. Die Gretel Grün ist eine Freundin der gnädigen Frau, und zu mir ist sie immer ganz nett. Hm, hier duftet es gut, nicht wahr?«
Anstelle von Flora antwortete ihr Magen mit einem lauten Knurren.
»Hunger?«, fragte Sabine stirnrunzelnd.
Flora nickte nur.
»Dann weià ich was!« Auflachend zog die Magd Flora weiter. »Das hier ist der Gemischtwarenladen Walbusch. Frau Walbusch ist auch eine Freundin von der gnädigen Frau, wenn sie vorbeikommt, will sie immer sofort eine Tasse Kaffee serviert bekommen. Ob ich gerade bei der Wäsche oder am Kochen bin, kümmert die gnädigen Damen natürlich nicht. Wenn du mich fragst â die meint es nicht ehrlich. Ich glaub, die knöpft der gnädigen Frau sogar besonders hohe Preise ab. Ich lieÃe das nicht mit mir machen!«
»Warum machst dann nicht du die Einkäufe bei Walbusch?«
»Die gnädige Frau würde es sich nie nehmen lassen, ihre Knöpfe und die Nähseide selbst auszusuchen. Stunden über Stunden braucht sie für solch eine Besorgung, ganz erschöpft kommt sie dann zurück! Weil alles ach so anstrengend ist â¦Â« Theatralisch wischte sich Sabine die Stirn. Im nächsten Moment packte sie Flora am Ãrmel. »Ich red so frei von der Leber weg, dabei kennen wir uns noch gar nicht. Dass du mir nichts davon bei den Herrschaften ausplauderst, hörst du?«
»Hältst du mich etwa für eine Petze?«, fuhr Flora auf, doch Sabine winkte ab.
Sie waren ein gutes Stück die StraÃe entlanggegangen, als Sabine in eine enge Seitengasse und von dort in einen Hof abbog.
»Meine kleine Württembergerin!«, ertönte es, kaum dass sie das Tor durchschritten hatten.
Erschrocken wich Flora vor einem hünenhaften Mann mit blutverschmierter Schürze zurück. Ihr Blick fiel auf die Haken, die an einer Art Balkon an der Längsseite des Innenhofes angebracht waren und von denen ein paar Schweinehälften hingen. Unter einer davon stand eine Schüssel, in die Blut tropfte. Was um alles
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