Das Blumenorakel
an.
»Tja, unser guter Bub kennt sich halt aus, schlieÃlich hat er in seiner Trinkhalle tagtäglich mit den feinen Leuten zu tun.« Ernestine Sonnenschein tätschelte Friedrichs Hand. »Und um Gäste muss er sich auch keine Sorgen machen, nicht wahr?«
»Da täuschst du dich, Mutter«, erwiderte Friedrich, währender seine Hand unter der ihren wegzog. »Auch bei uns ist es viel ruhiger als in den Vorjahren um diese Zeit, das macht mir schon Sorgen. Alles in allem sind einfach wesentlich weniger Besucher in der Stadt als sonst. Kein Wunder, dass die Hoteliers klagen!«
»Aber die Hoteliers haben doch immer was zu jammern«, warf Kuno ein. »Dabei kommen die mir nicht so vor, als nagten sie am Hungertuch.«
Friedrich lachte. »Da hast du nicht ganz unrecht, aber ein Blick ins Badeblatt bestätigt, dass ihre Sorgen dieses Jahr durchaus berechtigt sind. Stellen Sie sich vor«, wandte er sich an Flora, »im vergangenen Jahr wurden in der Fremdenliste weniger als dreiÃigtausend Gäste notiert â 1869 waren es noch rund zweiundsechzigtausend! Aber das wird schon wieder â schlieÃlich nennt man Baden-Baden die âºSommerhauptstadt Europasâ¹Â â hier treffen sich alljährlich die Reichen aus der ganzen Welt, das kann einfach nicht ganz aus und vorbei sein.«
Flora nickte beklommen. So, wie die Sonnenscheins daherredeten, konnte man wirklich den Eindruck bekommen, Baden-Baden stünde kurz vor dem Ruin ⦠Der Krieg, der vor wenigen Monaten geendet hatte, schien hier doch seine Spuren hinterlassen zu haben.
Floras Blick fiel unwillkürlich auf ihren Teller. Richtig satt war sie bisher nicht geworden â¦
»Suppe, Suppe, Suppe. Und zwischendurch Gemüse. Dass bei uns Schmalhans Küchenmeister ist, daran gewöhnst du dich am besten gleich«, hatte Sabine zu ihr gesagt, als Flora ihr am Nachmittag in der Küche half. »Fleisch oder Räucherfisch kommt nur selten auf den Tisch. Selbst am Speck wird gespart.«
Dass Sabine nun zum Essen allein in der Küche saÃ, fand Flora seltsam. Bei ihnen zu Hause durfte Ursel, die alte Magd, bei den Mahlzeiten stets mit am Tisch sitzen. Aber Frau Sonnenschein hatte offenbar ganz eigene Ansichten von Sitte und Anstand.
»Was hat es mit dieser ⦠Trinkhalle eigentlich auf sich? Ich habe den prächtigen Bau zwar schon von auÃen bewundert,aber ich war noch nicht drin â handelt es sich dabei um eine Wirtschaft?«
Friedrich Sonnenschein lachte. »Nein, ein Wirtshaus ist die Trinkhalle nicht, aber ausgeschenkt wird bei uns sehr wohl etwas! Thermalwasser nämlich, und das gleich aus mehreren Quellen! Heilwasser allerfeinster Qualität, für die Gesundheit sehr förderlich, ganz gleich, ob jemand einen nervösen Magen hat oder ein Gallenleiden. Ob er an Gicht leidet oder an einem schwachen Herz â¦Â«
Frau Sonnenschein schaute ihren Sohn mit mütterlichem Stolz an. »Die Trinkhalle, die Spazierwege rundherum, der Pavillon â für alles ist unser guter Bub ganz allein verantwortlich. Aber glauben Sie nicht, dass der Spielbankpächter das zu schätzen wüsste! Für ihn gibts nur eines, was zählt, und das ist das Casino.«
»Ach Mutter«, wehrte Friedrich ab. Nach einem längeren Schweigen sagte er in Floras Richtung: »Wenn Sie möchten, lade ich Sie einmal auf ein Glas unseres vorzüglichen Heilwassers in unsere heiligen Hallen ein.«
»Sehr gern, ich kann es kaum erwarten, mehr von Baden-Baden kennenzulernen«, sagte Flora. Heilige Hallen  â so viel Aufhebens um ein paar Gläser Wasser, dachte sie bei sich. Und dann die Art, wie Frau Sonnenschein über ihren Sohn sprach â der gute Bub! Ihre Brüder wären vor Scham im Erdboden versunken, hätte die Mutter sie je so angesprochen.
Bei diesem Gedanken wurde Flora von einer Woge Heimweh überflutet. Um sich abzulenken, wandte sie sich erneut an Friedrich. »Dann haben Sie es also vor allem mit kranken Leuten zu tun. Ich weià nicht, ob mir das gefiele â¦Â«
»Oh, aber das ist nicht der Fall! Baden-Baden ist keine Kurstadt im eigentlichen Sinne, ernsthaft kranke Menschen finden nur selten den Weg zu uns.«
Flora nickte und legte unauffällig eine Hand auf ihren Magen, der ein peinliches Knurren von sich gab.
Frau Sonnenschein runzelte die Stirn. »Dabei sind deine Wässer so gesund! Etwas
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