Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Blut der Rhu'u (German Edition)

Das Blut der Rhu'u (German Edition)

Titel: Das Blut der Rhu'u (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mara Laue
Vom Netzwerk:
imaginären Ort der Ruhe ein und hatte tatsächlich das Gefühl, dass ihr durch Camiyus Finger noch eine zusätzliche Portion Ruhe zufloss. Ohne dass sie es bewusst gewollt hatte, war er dieser Ort der Ruhe. Wie er gesagt hatte, tauchte sie in ihn ein, verschmolz mit ihm – und hatte plötzlich den Eindruck, sich selbst durch Camiyus Augen zu sehen. Gleichzeitig nahm sie die Gefühle wahr, die ihr Anblick in ihm auslöste, und bekam noch sehr viel mehr mit: seine Sehnsüchte, seine Träume, Verletzungen, die er erlitten hatte, seine Vorlieben, Stärken, Schwächen, seine dunkle Seite und sein ganzes übriges Wesen. Sah sich selbst ihn erstaunt anblicken und fühlte, dass er sie auf dieselbe Weise wahrnahm. Statt zurückzuschrecken und den Kontakt abzubrechen, ließ sie die intensive Verbindung zu, öffnete sich ihm vollkommen, verschmolz mit ihm und hatte das Gefühl, nach Hause zu kommen. Das jubilierende Glück, das diese Empfindung in ihr auslöste, unterbrach schließlich den Kontakt.
    Camiyus blickte sie ebenso staunend an, wie sie es wohl mit ihm tat. »Sorry«, flüsterte er mit belegter Stimme. »Das wollte ich nicht. Ich wusste nicht, dass du auch telepathische Fähigkeiten hast.«
    »Ich auch nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber es tut mir nicht leid, Camiyu. Kein bisschen.« Dazu fühlte sie sich immer noch viel zu glücklich. Warum eigentlich? Egal.
    Er errötete. »Demnach bist du nicht abgestoßen von mir? Von dem, was du in mir gesehen und gefühlt hast?«
    Sie drückte seine Hände. »So wenig, wie du dich von mir abgestoßen fühlst. Ich finde ...«
    Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Aber Worte waren nicht mehr nötig. Sie hielt seine Hände und war, wie er gesagt hatte, einfach nur da . Ebenso wie er. Eine lange Weile saßen sie so beieinander und genossen beide das Gefühl tiefer Verbundenheit, von Akzeptanz und gegenseitigem Verständnis.
    Camiyu räusperte sich schließlich, als es weit genug nachgelassen hatte, dass sie sich auf andere Dinge konzentrieren konnten. »Also versuchen wir es noch mal. Da du deinen Geist mit meinem verbinden kannst, kann ich dir dadurch viel besser zeigen, was du tun musst, um deinen mentalen Schild zu verstärken. Das heißt, wenn du es noch mal versuchen möchtest, wenn du die Verbindung noch mal zulassen willst.«
    Sie nickte und fühlte gleich darauf wieder Camiyus Geist, der ihren berührte – diesmal erheblich weniger heftig oder allumfassend – und ihr wortlos zeigte, wie sie die Empathie abblocken konnte. Als sie die Übung nach einer Stunde beendeten, beherrschte Kara die Technik reibungslos. Camiyu widmete sich wieder der Chronik, und auch sie nahm das Buch zur Hand, das sie mitgebracht hatte. Bevor sie sich darin vertiefte, bemerkte sie den wohlwollenden Blick ihres Vaters und einen enttäuschten von Camulal. Aber sie machte sich keine Gedanken darüber, was das nun wieder bedeuten sollte.
     
    *
     
    Kara konnte nicht schlafen. Das lag keineswegs an der unbequemen Schlafstatt, die selbst durch die darauf ausgebreiteten Daunenschlafsäcke mit garantierter Nordpoltauglichkeit nicht komfortabler wurde. Kara konnte die Stille beinahe greifen. Die einzigen Geräusche, die sie hörte, waren die Atemzüge der anderen, die mit der Stille nicht das geringste Problem zu haben schienen.
    Doch nicht allein die machte ihr zu schaffen. Die enge geistige Verbindung mit Camiyu hatte etwas in ihr zurückgelassen, etwas in ihr verändert, das sich hartnäckig weigerte, analysiert zu werden. Sosehr Kara es auch versuchte, es gelang ihr nicht. Sie wälzte sich von einer Seite auf die andere, zählte im Geist Schafe, versuchte zu meditieren, um ihr wirbelndes Gedankenkarussell zum Stehen zu bringen, aber nichts half. Als sie merkte, dass ihre Unruhe auf die anderen übergriff, stand sie so leise wie möglich auf, zog sich an und verließ die Unterkunft.
    Sie wunderte sich nicht, dass vier Mönche wie reglose Statuen in der Nähe der Tür standen und sie nicht aus den Augen ließen. Sie hielten sie jedoch nicht auf, als sie ziellos über den Klosterhof wanderte. Die Luft war eisig. Kein Wunder, denn das Kloster lag auf einem über dreizehnhundert Fuß hohen Gebirgsgipfel, und es war Ende September. Hier oben lag bereits stellenweise Schnee. Kara fröstelte, aber die kalte Luft tat ihr gut und belebte ihre Sinne.
    Sie wanderte eine Weile umher und blieb schließlich auf einem steinernen Balkon stehen, der direkt an den darunter steil abfallenden Berghang gebaut

Weitere Kostenlose Bücher