Das Blut der Rhu'u (German Edition)
Energie zurückgegeben, wie ich entbehren konnte. Er ist wieder okay. Und jetzt lass uns nach Hause fahren.«
Er machte einen sehr erschöpften Eindruck. Kara legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich werde fahren«, entschied sie, beugte sich zu ihm hinüber und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Danke, Kyle.«
*
Jarod las aufmerksam und zum wiederholten Mal die vier im »Scotsman« erschienenen Artikel durch und betrachtete nachdenklich die dazugehörigen Fotos von vier Männern, die alle einer seltsamen Wandlung zum Opfer gefallen waren. Die jeweils von ihnen zuerst gemachten Fotos zeigten uralte Greise, verschrumpelt wie Äpfel vom letzten Jahr. Dabei waren sie alle zwischen 22 und 34 Jahren jung. Man hätte sie für schwere Fälle von Progerie halten können, aber diese Krankheit der vorzeitigen rapiden Vergreisung trat nicht über Nacht auf wie bei diesen Männern, sondern war ein angeborener Gendefekt, der sich unmittelbar nach der Geburt bemerkbar machte.
Das war die erste Ungereimtheit. Die zweite Ungereimtheit folgte aus der Tatsache, dass es für Progerie kein Heilmittel gab, weshalb alle Befallenen unweigerlich daran starben. Trotzdem hatten alle vier Männer nur wenige Stunden später ihre ursprüngliche Jugend auf geheimnisvolle Weise vollständig zurückerlangt. Nun, fast vollständig. Den ersten Fall, einen gewissen Nick Raymond, hatte die Krankheit, oder was immer es war, komplett weißhaarig zurückgelassen. Der zweite Mann hatte ein paar dicke graue Strähnen im Haar behalten. Beim dritten waren es wenige sporadische graue Haare und beim vierten nur noch ergraute Schläfen.
Unterschiedlich war auch der anfängliche Grad der plötzlichen Alterung. Ähnelte der erste Fall bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus einem Hundertjährigen, war der zweite nur noch etwa achtzig, ebenso der dritte Mann. Und der vierte brachte es gerade mal auf knapp sechzig. Die Ärzte standen vor einem Rätsel.
Vollkommen ungewöhnlich war auch die Story, die jeder von ihnen als Grund für seine plötzliche Alterung nannte. Alle vier hatten eine unbekannte Frau getroffen, die jeder von ihnen als den Inbegriff seiner sexuellen Fantasien schilderte. Die Beschreibungen reichten von »heißester Feger auf zwei Beinen« über »Traumfrau« und »wandelnde Sexbombe« bis »Superweib«, deren bloßer Anblick den schier unwiderstehlichen Drang erweckte, mit ihr auf der Stelle Sex zu haben. Und die Frau schien sich die Männer auch zu eben diesem Zweck ausgesucht zu haben. Während des Aktes, so erklärten alle übereinstimmend, hatten sie irgendwann das Gefühl gehabt, regelrecht ausgesaugt zu werden. Als die Frau von ihnen abließ, waren sie um Jahrzehnte gealtert. Natürlich taten die Ärzte das als Halluzinationen ab.
Nicht so Jarod. Ihm war nur allzu klar, dass diese vier Fälle plötzlicher Alterung und wundersamer Heilung keine medizinische Ursache hatten. Ein Detail in den Aussagen der Männer bestätigte seinen Verdacht. Sie beschrieben die unwiderstehliche Frau, mit denen sie sich vergnügt hatten, vollkommen unterschiedlich. Der eine hatte sie als Schwarzhaarige wahrgenommen, einer als Asiatin, die beiden anderen als Blondine. Aber jedes Mal war sie bis ins kleinste Detail die perfekte Verkörperung der idealen Sexpartnerin für den jeweiligen Mann gewesen. Doch drei von ihnen schworen, dass sie sich nach dem Akt in eine Rothaarige verwandelt hatte. Lediglich beim letzten Fall, der nur um etwa dreißig Jahre gealtert war, hatte sie auch hinterher noch dieselbe Gestalt gehabt.
Mochten die Ärzte das als Hirngespinste abtun, für Jarod klang das verdächtig nach dem Werk eines Sukkubus, der noch nicht den Bogen raushatte, wie er sich ernähren konnte, ohne seinem Opfer – Partner zu schaden. Jarod wusste auch genau, wer dieser Sukkubus war: Kara. Er versuchte seit Tagen, sie zu erreichen, aber ihr Smartphone war tot. Es ließ sich auch nicht orten. Wahrscheinlich hatte sie es entsorgt und war untergetaucht. Was man so »untertauchen« nennen konnte. Die besagten Fälle hatten sich in Elgin, Keith und Dufftown ereignet. Wenn Jarod das Bestreben zugrunde legte, überall, nur niemals am Wohnort zu »speisen« und er sich auf der Karte die Lage der Orte ansah, deutete nach seinen kriminalistischen Kenntnissen alles darauf hin, dass Kara sich vermutlich in Aberdeen aufhielt. Alle drei Orte waren auf direktem Weg über Hauptstraßen von Aberdeen aus zu erreichen. Doch Aberdeen war groß. Er hatte keinen
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