Das Böse im Blut: Roman (German Edition)
ersten Worte nach über einem Jahr, und einen Moment lang war sich Edward nicht sicher, ob sie tatsächlich etwas gesagt oder ob er irgendwie ihre Gedanken gehört hatte. »Dieser Mann wird euch auffressen«, zischte sie. »Euch alle. Wenn ihr ihn nicht vorher tötet.«
Das Mädchen nickte mit zusammengepressten Lippen zustimmend und starrte seine Brüder grimmig an. Die Brüder tauschten unsichere Blicke aus. Daddyjacks raue Stimme drang in den Wagen: »Is mir lieber, du hältst gleich ganz dein Maul, als dass ich mir so’n verrücktes Weibergeschwätz anhören muss.«
Sie sagte nichts mehr, weder an jenem Abend noch für die nächsten drei Jahre, doch die Glut in ihren Augen kam Edward wie das Schimmern des Wahnsinns vor.
3 Sie war eine hellhäutige, geschmeidige Schönheit mit scharfen Zügen, doch weder Daddyjack noch die Kinder wussten — noch wusste es die Frau selber —, dass ihre aufrührerischen grünen Augen und ihr kastanienbraunes Haar das Erbe eines mörderischen Wüstlings waren, der sie an einem kalten Nachmittag in Süd-Georgia auf einem dreizehnjährigen Mädchen liegend gezeugt hatte, während seine Kumpanen die Planwagen johlend niederbrannten und die Familie des Mädchens abgeschlachtet dalag. Die kindliche Mutter erholte sich nie von dem Wahnsinn, den das Martyrium ausgelöst hatte, und für den kurzen Rest ihres Lebens sprach sie kein Wort mehr. Sie irrte tagelang im Buschwerk umher, bis ein Kesselflicker sie auflas und in seinem Wagen bis zum nächsten Ort mitnahm. Dort kam sie bei einem Ladenbesitzer und seiner Frau unter, bis diese erkannten, dass sie ein Kind trug, und sie an die unverheirateten Schwestern des Mannes weiterreichten. Einige Wochen nach der Geburt ihrer Tochter knüpfte sie sich am Balken ihrer Stube auf. Eine Zeit lang war ihr Selbstmord das Hauptgesprächsthema unter den Einheimischen, doch mit dem Tratsch wurden selbst die Umstände ihres Todes bald ebenso unsicher wie alles andere, was sie betraf. Irgendwann waren alle Geschichten, die man sich von ihr erzählte, pure Erfindung.
Der Säugling wurde von einem kinderlosen methodistischen Pastor namens Gaines und seiner blässlichen Frau unter die Fittiche genommen, die auf dem Weg waren, sich im Hochland niederzulassen. Der Reverend taufte sie auf den Namen Lilith und erzählte allen, sie sei seine Nichte, die die Cholera zum Waisenkind gemacht hatte. Sie wuchs zu einem stillen, gehorsamen Mädchen heran, das die Bibel las und Schreiben lernte, indem sie Passagen aus Salomons Lied abschrieb, das, wie die gute Frau des Reverend zu ihrer Beunruhigung erfuhr — und wodurch sich der Reverend insgeheim gekränkt fühlte —, ihr Lieblingsteil des Buchs der Bücher war. Sie hatte gerade das zwölfte Lebensjahr erreicht und leistete keinen Widerstand, als der Prediger sie eines späten Abends entjungferte, während seine schwindsüchtige Gattin in einem Nachbarraum ihr Leben forthustete. Sechs Wochen später, am Abend nach der Beerdigung seiner Frau, lag er wieder bei dem Mädchen und weinte, selbst während er unter der Mühe seiner Lust ächzte. Er sagte ihr, es sei der Wille des Herrn, dass sie sich einander fleischlich hingaben, und sie lächelte über seine Tränen und sagte, es sei wunderbar, dass der Herr etwas so Lustvolles wolle — und lachte, als ihm über so viel Schamlosigkeit der Mund offen blieb. Danach nahm er sie beinahe jede Nacht zu sich ins Bett.
Als sie vierzehn war, war sie bereits Burschen aus allen Ecken des County zu Willen im Austausch für ein wenig Bares oder wenigstens für irgendeinen Plunder aus dem General Store, der ihr gefiel. Es bereitete ihr Freude, dabei zuzusehen, wie sie sich um sie prügelten. Mit der Zeit lockte ihr Ruf durchreisende Hausierer und Krämer von der Hauptstraße. Reverend Gaines erfuhr es als Letzter. Als er entdeckte, dass er nicht mehr der alleinige Empfänger ihrer Liebesdienste war, geriet er in Zorn über ihre Niedertracht und verlegte sich darauf, allabendlich laute Gebete an den Herrn zu richten, dass Er ihre verdorbene Bastardseele retten möge. Er beschloss, sie zu verheiraten und fortzuschicken, sowie sich ein Tölpel fand, der um ihre Hand anhielt.
Und da erschien Jack Little, groß gewachsen, stämmig und schnauzbärtig, und ließ wissen, dass er aus Tennessee stamme und seines Faches Hauer sei, auf der Suche nach einer Ehefrau. Er sagte, sein Vater käme aus dem County Cork. Der Prediger lud ihn zum Abendessen ein und stellte ihm seine verwaiste
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