Je mehr ich dir gebe (German Edition)
KAPITEL 1
Faire l’amour
Jonas hat diese französische CD eingelegt, von Benjamin Biolay, die sie so gern hört. Seine Stimme ist so weich wie das Sofakissen in ihrem Rücken. Warmer Wind bläht das Laken vor dem offenen Fenster. Julia schlägt die Beine übereinander, wippt mit dem Fuß. Sie hat nur eine Bluse an, ärmellos, aufgeknöpft, sie lehnt sich zurück und streicht die zwei Blusenhälften an die Seite. Sie hat Lust, sich Jonas zu zeigen.
Er sitzt ihr gegenüber, auf dem Sessel, sieht, wie ihre Brüste zum Vorschein kommen, zwei halbe Zitronen, ihm zugereckt. Die weiße Bluse rahmt ihre Silhouette ein. Die Luft zittert. Es soll heute noch ein Gewitter geben.
Er darf sich nicht rühren, noch nicht, nur schauen. Mit den Augen Liebe machen.
Schön, dass er so was mag, hat Julia gedacht, später, als sie im Bett lagen, gestillt voneinander, ein Freund, dem du dich zeigen kannst und der sich Zeit zum Schauen lässt. Für die anderen, vor Jonas, war sie eher so was wie Fastfood gewesen. Die Jungs waren hitzig, schnell, manchmal auch albern. Da hätte sie am liebsten vorher schon STOPP gesagt, aber irgendwann kann man nicht mehr STOPP sagen. Es gibt kein Zurück, nie, obwohl sie den letzten Nachmittag mit Jonas wie einen Film immer und immer wieder zurückspult. – Wie sie da saß, erst auf dem Sofa, Beine noch übereinandergeschlagen und mit diesem Kribbeln auf der Haut, von seinem Blick.
Sie war gleich nach dem Sprechunterricht zu ihm gekommen. Sie hatten das Stimmpotenzial von Nina Hagen analysiert. Bei dem Lied Heiß hatte Julia an Jonas gedacht. Besser konnte man es gar nicht ausdrücken, wie es war, wenn Jonas ihr zuschaute.
Mir ist heiß! Ich bin heiß! Ach, warum sind denn nicht alle so heiß? Ja, ist es denn ein Wunder?
Sie schloss die Augen, legte den Kopf nach hinten, auf die Sofalehne. Es war wie Schweben und Flattern – sie war ein Kolibri. Nie hätte sie gedacht, dass sie sich traute, sich vor einem Jungen so gehen zu lassen.
Wenn es eine höhere Kraft gibt, dann die zweier Körper, die Liebe machen, faire l’amour . Eine Erkenntnis, die sie in den letzten Wochen das erste Mal gehabt hatte und die sie sich seitdem nicht oft genug bestätigen konnte. Jonas war ihr Boot, mit dem sie sich auf alle Meere wagte.
Sie lagen im Bett, noch klebrig voneinander.
»Du bist ein Wunder«, sagte er.
Wie er sie anschaute, mit verwuschelten Haaren und verrutschtem Blick – verzaubert von ihr.
Ihre Hände spielten miteinander, streiften umeinander, hielten sich, lösten sich, Fingerspitzen an Fingerspitzen, purzelten übereinander wie kleine Kätzchen. – Manchmal gibt es keine Worte, nur Momente.
Das Laken flatterte wie eine Fahne am Mast. Sie waren auf hoher See und ließen sich schaukeln. Der Wind wurde kühler; die CD war zu Ende. Draußen fuhren Autos vorbei, sangen Kinder. Spatzen zwitscherten. Sie kehrten langsam ins Zimmer zurück. Er reichte ihr die Wasserflasche.
»Und wie war es bei deinem Sprechkurs?«
» Ma me mi mo mu – ma me mi mo mu – ma me mi mo mu – ma me mi mo mu – ma me mi mo mu « , ratterte Julia in einem Affenzahn runter und fing wieder von vorn an. Dann holte sie tief Luft. »Ich habe nur an dich gedacht.« Sie lag auf der Seite, den Kopf auf die Hand gestützt. Ihr hellbraunes Haar fiel aufs Kissen. »Ich konnte gar nicht schnell genug zu dir kommen.«
Er lag auch auf der Seite, Kopf auf den Ellenbogen gestützt, und schaute auf ihren Mund. » Ma me mi mo mu«, sagte sie ohne Ton und er küsste ihr die Fortsetzung weg. Dann wollte sie ihm unbedingt was von Nina Hagen vorsprechen.
Er stand nicht so auf Nina Hagen.
»Das ist doch diese Durchgeknallte, die überall Ufos sieht und ihre Tochter Cosma Shiva genannt hat.«
»Ja, und ihr Sohn heißt Otis, nach der Fahrstuhlmarke, weil sie in der Schwangerschaft mal im Fahrstuhl stecken geblieben ist.«
»Krass.«
»Aber eine Wahnsinnsstimme! Mit einer Modulationsbandbreite, das haut dich um! Sie kommt in ihrem Lied Naturträne sogar höher als die Arie der ›Königin der Nacht‹ aus der Zauberflöte . Dort geht es bis ans F und Nina Hagen schafft sogar ein G! Und die Lieder sind einfach …« Julia fand keine Worte, ihr saß noch der Refrain von Heiß in der Kehle: Mir ist heiß, ich bin heiß, ach, warum sind denn nicht alle so heiß …
Zauberworte, jede Silbe, und Jonas war empfänglich dafür, ließ sich streicheln, allein von dem, was sie sagte und wie sie es sagte.
»Du hast eine
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