Das Bourne Imperium
haben, jetzt all die alten Wunden aufzureißen? Ganz abgesehen von all den Ansprüchen, die gegen uns gestellt würden, würden wir in den Augen des größten Teils der zivilisierten Welt zum Paria werden.«
»Wie ich schon sagte«, meinte McAllister leise und etwas zögernd, »wir halten im Außenministerium nicht viel davon, alte Wunden aufzureißen.« Er wandte sich dem Botschafter zu. »Ich fange an zu begreifen. Sie wollen, dass ich Verbindung mit diesem David Webb aufnehme und ihn dazu überrede, nach Asien zurückzukehren. Ein anderes Projekt, ein anderes Ziel – obwohl ich vor heute Abend dieses Wort nie in diesem Zusammenhang benutzt habe. Wahrscheinlich weil es für uns von früher einige ganz deutliche Parallelen gibt – wir sind Asien-Männer. Wir haben, was den Fernen Osten angeht, ähnliche Ansichten, und deshalb glauben Sie, dass er auf mich hören wird.«
»Im Wesentlichen ja.«
»Und doch sagen Sie, dass er nichts mit uns zu tun haben will. Wie soll ich es dann schaffen?«
»Wir werden es gemeinsam tun. So wie er einmal die Regeln für sich selbst gemacht hat, werden wir sie jetzt machen. Das ist unerlässlich.«
»Wegen eines Mannes, den Sie tot wissen wollen?«
»Sagen wir eliminiert. Es muss sein.«
»Und Webb kann das erledigen?«
»Nein. Jason Bourne kann es. Wir haben ihn drei Jahre lang unter außergewöhnlichem Stress alleine hinausgeschickt – und dann wurde ihm plötzlich sein Erinnerungsvermögen genommen, und er wurde gejagt wie ein Tier. Trotzdem hat er sich seine Fähigkeiten, sich einzuschleusen und zu töten, bewahrt. Ich bin ganz offen.«
»Ich verstehe. Da wir nicht auf Band aufgenommen werden – und selbst, wenn wir das werden …« Der Staatssekretär warf Reilly einen missbilligenden Blick zu, worauf dieser den Kopf schüttelte und die Achseln zuckte. »Darf ich erfahren, wer die Zielscheibe ist?«
»Das dürfen Sie, und ich möchte, dass Sie sich diesen Namen merken, Herr Staatssekretär. Es ist ein chinesischer Minister, Sheng Chou Yang.«
McAllisters Gesicht rötete sich ärgerlich. »Ich brauche ihn mir nicht zu merken, und ich denke, das wissen Sie. Er war so etwas wie eine Institution in der Verhandlungsdelegation der Volksrepublik, und wir haben beide Ende der Siebzigerjahre in Peking an den Handelskonferenzen teilgenommen. Ich habe über ihn gelesen, ihn analysiert. Sheng war mein Verhandlungspartner, und mir blieb gar nichts anderes übrig – eine Tatsache, die Ihnen, wie ich vermute, auch bekannt ist.«
»Oh?« Der grauhaarige Botschafter schob die dunklen Augenbrauen in die Höhe. »Und welche Erkenntnisse haben Sie bei Ihrer Lektüre gewonnen? Was haben Sie über ihn in Erfahrung gebracht?«
»Er galt als sehr intelligent, sehr ehrgeizig – aber das können wir ja auch aus seinem Aufstieg in der Hierarchie von Peking entnehmen. Leute, die das Zentralkomitee vor einigen
Jahren ausschickte, haben ihn in der Fudan-Universität in Shanghai entdeckt. Zunächst ging es wohl nur darum, dass er sich so fließend in Englisch ausdrücken konnte und ein sehr klares Bild von der westlichen Wirtschaft hatte.«
»Und dann?«
»Er galt als vielversprechend und wurde daher nach einer gründlichen Indoktrinierung auf die London School of Economics geschickt, um dort sein Studium abzuschließen. Das hat auch geklappt.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Sheng ist überzeugter Marxist, soweit es um den Staat als zentralistische Gewalt geht, hat aber gesunden Respekt vor kapitalistischen Profiten.«
»Ich verstehe«, sagte Havilland. »Dann akzeptiert er also das Versagen des Sowjet-Systems?«
»Dieses Versagen schreibt er der russischen Neigung zur Korruption, dem gedankenlosen Konformismus in den oberen Rängen und dem Alkohol in den unteren Rängen zu. Immerhin hat er ein gut Teil dieser Probleme in den Industriezentren beseitigt.«
»Das klingt ja gerade, als hätte er seine Ausbildung bei IBM bekommen, nicht wahr?«
»Er ist weitgehend für die neue Handelspolitik der Volksrepublik verantwortlich. Er hat für China eine Menge Geld gemacht.« Wieder beugte sich der Mann aus dem Außenministerium in seinem Sessel vor, seine Augen blickten eindringlich, und sein Gesichtsausdruck war verwirrt – besser gesagt, erschüttert. »Mein Gott, warum sollte irgendjemand im Westen Shengs Tod wollen? Das ist absurd ! Er ist unser wirtschaftlicher Verbündeter, ein politisch stabilisierender Faktor in der größten Nation der Welt, die sich ideologisch gegen
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