Das Bourne Imperium
Siebenundzwanzig Minuten später, als er geendet hatte, griff Havilland nach einem schwarzen Aktendeckel. Er klappte ihn auf, sodass ein Stapel von etwa siebzig zusammengehefteten Seiten zu sehen war, schloss ihn wieder und legte den Ordner vor David. »Das hier ist alles, was wir wissen, alles, was wir erfahren haben – Details, Einzelheiten, alles, was ich Ihnen gesagt habe. Der Bericht darf dieses Haus nur in Form von Asche verlassen, aber Sie können ihn gerne lesen. Wenn Sie irgendwelche Zweifel oder Fragen haben, dann schwöre ich Ihnen, dass ich jeden Hebel in unserer Regierung in Bewegung setzen werde – angefangen beim Oval Office bis zum Nationalen Sicherheitsrat –, um Sie zufrieden zu stellen. Das bin ich Ihnen schuldig.« Der Diplomat hielt inne und fixierte Webb. »Vielleicht haben wir kein Recht, das von Ihnen zu verlangen, aber wir brauchen Ihre Hilfe. Wir brauchen alle Informationen, die Sie uns geben können.«
»Damit Sie jemanden hineinschicken können, um diesen Sheng Chou Yang zu erledigen.«
»Darauf läuft es im Wesentlichen hinaus. Aber in Wirklichkeit ist es viel komplizierter. Wir müssen unsichtbar bleiben. Niemand darf sehen oder auch nur entfernt ahnen, dass wir etwas unternehmen. Sheng hat sich hervorragend getarnt. Peking sieht in ihm einen Mann mit einer Vision, einen großen Patrioten, der wie ein Sklave für Mutter China arbeitet; sozusagen einen Heiligen. Es ist unmöglich, an ihn heranzukommen. Die Leute um ihn, seine Adjutanten, seine Leibwachen, sind eine Schutztruppe, deren Loyalität einzig und allein seiner Person gilt.«
»Deshalb wollten Sie den Mann, der in die Maske Davids geschlüpft war«, unterbrach Marie. »Er war Ihr Bindeglied zu Sheng.«
»Wir wussten, dass er Aufträge von ihm angenommen hat. Sheng musste – muss – seine Opposition ausschalten, ebenso diejenigen, die sich in ideologischer Hinsicht gegen ihn stellen, wie jene anderen, die er aus seinen Operationen ausschließen will.«
»Dieser letztgenannten Gruppe«, unterbrach McAllister, »gehören die Anführer rivalisierender Triaden an, denen Sheng nicht vertraut, und denen die Fanatiker der Kuomintang nicht vertrauen. Wenn sie bemerken würden, dass sie hinausgedrängt werden sollen, dann würde es zu einem Bandenkrieg kommen, das weiß er, und einen solchen Krieg könnte Sheng ebenso wenig dulden wie die Briten, wo doch Peking vor der Haustüre steht. In den letzten zwei Monaten sind sieben Anführer von Triaden getötet worden, und ihre Organisationen wurden zerschlagen.«
»Der neue Jason Bourne war Shengs perfekte Lösung«, fuhr der Botschafter fort. »Ein bezahlter Meuchelmörder ohne politische oder nationale Bindungen, sodass man die Morde nicht mit China in Verbindung bringen konnte.«
»Aber er ist doch nach Peking gegangen«, wandte Webb ein. »Ich habe ihn doch nach dort verfolgt. Selbst wenn das Ganze als Falle für mich anfing …«
»Eine Falle für Sie ?«, rief Havilland aus. »Die wussten über Sie Bescheid?«
»Vor zwei Tagen habe ich meinen Nachfolger von Angesicht zu Angesicht gesehen, auf dem Flughafen. Wir wussten beide, wer der andere war – es war unmöglich, das zu übersehen. Er hat das bestimmt nicht geheim gehalten und die Schuld für einen fehl geschlagenen Auftrag auf sich genommen.«
»Das waren Sie «, unterbrach McAllister. »Ich habe es gewusst!«
»Sheng und seine Leute wussten das auch. Ich war der neue Revolverheld in der Stadt und musste aus dem Weg geräumt werden. Sie konnten das Risiko nicht eingehen,
dass ich noch mehr erfuhr. Und so wurde noch in derselben Nacht eine Falle ausgedacht und für mich aufgestellt.«
»Heiland!«, rief Conklin aus. »Ich habe in Washington gelesen, was in Kai-tak geschehen ist. In den Zeitungen stand, man nehme an, es handle sich um einen Anschlag von Rechtsterroristen. Um die Kommunisten aus dieser Hochburg des Kapitalismus herauszuhalten. Das warst du ?«
»Beide Regierungen mussten sich etwas für die Weltpresse einfallen lassen«, fügte der Staatssekretär hinzu. »Ebenso wie wir etwas über heute Nacht sagen müssen …«
»Ich möchte auf Folgendes hinaus«, sagte David, indem er McAllister völlig ignorierte. »Dieser Sheng hat den Killer kommen lassen, ihn dazu benutzt, mir eine Falle zu stellen, und ihn dadurch zum Teil des inneren Kreises gemacht. Das widerspricht jeder Erfahrung – als Klient hält man Distanz zu einem bezahlten Killer.«
»Nur wenn man damit rechnet, dass er lebend
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