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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Wasserman
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glühen. Doch unser Vater hat ihm vertraut. Ich kann nur hoffen, dass dieser Mann mein Vertrauen nicht missbrauchen wird.
    Es bereitet mir großen Kummer, von Deiner Krankheit zu hören, und ich beschwöre Dich, alles zu tun, damit Du bald wieder gesund wirst. Ich weiß von Deiner kindischen Furcht vor den Blutegeln, doch Du musst den Rat Deiner Ärzte befolgen. Ich selbst war erst ein Mal gezwungen, diese Kreaturen zu ertragen, doch ihr Schleim auf meiner Haut und der süße Schmerz, wenn das Blut in ihre anschwellenden Leiber gesogen wird, sind eine Erfahrung, die ich so schnell nicht vergessen werde. Wir tun alle, was man uns auferlegt, um zu überleben.
    Prag, 24. Oktober 1590
    12 »›Wir tun alle, was man uns auferlegt, um zu überleben‹… aber es gibt keinen Hinweis darauf, was sie tun wird. Was könnte so geheim sein, dass sie es selbst dem Menschen, dem sie sonst all ihre Geheimnisse anvertraut, nicht verraten kann?«
    Â»Sex«, sagte Adriane. »Es geht immer um Sex.« Sie lag auf dem Rücken auf einem weißen Flokati und faltete sich dann zu einer Yoga-Stellung zusammen, die Beine über dem Kopf ausgestreckt, die Zehen auf dem Boden.
    Ich schüttelte den Kopf. »Es geht nicht um einen Mann. Es hat etwas mit ihrem Vater zu tun und sie redet die ganze Zeit über dieses Buch .Ich bin sicher, dass es sich dabei um dasselbe…«
    Â»Nora. Jetzt mal im Ernst. Die Briefe dieses toten Mädchens kümmern doch keinen.« Adriane drückte sich in den Handstand hoch, die Beine kerzengerade. »Vor allem, wenn es darin nicht um Sex geht.«
    Â»Soll das etwa heißen, du würdest in den Briefen dieses toten Mädchens nach perversem Zeugs suchen?«
    Â»Du musst doch zugeben, dass das interessanter wäre.«
    Â»Du sagst das so, als würdest du mir tatsächlich zuhören.«
    Â»Du hast nicht gesagt, dass ich zuhören soll.«
    Â»Stillschweigendes Einverständnis«, klärte ich sie auf. »Du weißt doch noch, was Mr Stewart gesagt hat, oder? Jedes Mal, wenn man einen Flughafen betritt, ist man stillschweigend damit einverstanden, dass man abgetastet wird. Und jedes Mal, wenn du mich zu dir nach Hause einlädst, bist du stillschweigend damit einverstanden, dass ich dich mit den Details meines banalen kleinen Lebens langweile.«
    Adriane lief auf den Händen zur Wand, lehnte die nackten Füße gegen die Retro-Tapete und lief daran herunter, bis sie in einer Brücke stand, den Kopf nach hinten, die Haare eine glänzende Pfütze auf dem Teppich. »A, es ist nicht dein Leben, es ist ihr Leben. B, vielleicht wäre dein Leben ein klitzekleines bisschen weniger banal, wenn du weniger Zeit damit verbringen würdest, dir Sorgen wegen deiner Hausaufgaben zu machen, und mehr Zeit damit, es einfach zu leben. Und C, hiermit widerrufe ich mein Einverständnis.«
    Â»Darüber könnten wir vielleicht diskutieren, wenn ich auch auf dem Kopf stehen würde.«
    Adriane richtete sich auf, als herrsche auf ihrer Seite des Raums vorübergehend keine Schwerkraft. »Und da wir gerade dabei sind«, sagte sie. »Es würde dir nicht schaden, wenigstens ab und zu mal ins Fitnessstudio zu gehen. Wir sind keine fünfzehn mehr und diese vielen Milchshakes…«
    Â»Noch ein Wort und ich lese dir den nächsten Brief des toten Mädchens vor«, warnte ich sie, während ich den Notizblock mit meinen Übersetzungen schwenkte. »Wort für Wort. Langsam.«
    Â»Ich halt ja schon den Mund.«
    Früher, als ich nur gelegentlich in der Welt, wie Adriane sie sah, zu Besuch war und dort noch keinen festen Wohnsitz hatte, war ich davon ausgegangen, dass sie die ständigen Dehnübungen für das andere Geschlecht vorführte, deren Angehörige häufig in der Nähe waren, wenn sie ganz plötzlich der Drang nach einem halben Lotussitz oder einem nach unten schauenden Hund überfiel. Es passierte jederzeit und überall – beim Schlangestehen vor dem Kino, beim Lernen für einen Chemietest, beim Dekorieren der Sporthalle für eine Schulparty. Ich drehte mich um, weil ich Adriane etwas sagen wollte, doch sie lag mal wieder auf dem Boden, die ellenlangen Beine im Spagat oder mit gestreckten Zehen über den Kopf gehoben. Es dauerte ein paar Monate, bis mir klar wurde, dass sie es nicht tat, um Aufmerksamkeit zu erregen, obwohl sie sich dieses angenehmen Nebeneffekts

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