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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Wasserman
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Dich in Deiner Antwort um ein paar Zeilen über Dein Studium. Meine Gedanken überschlagen sich, wenn ich mir Dein Leben in Ingolstadt vorstelle. Ist das nicht der wahre Himmel auf Erden, wenn man sich um nichts anderes zu kümmern braucht als um seinen Verstand? Lasse mir eine Nachricht und vielleicht auch Deine Gebete und Deine Stärke zukommen. Wenn ich den letzten Wunsch meines Vaters erfüllen soll, werde ich beides brauchen.
    Adieu.
    Prag, 30. September 1598
    Dass sie nicht jammerte, gefiel mir. Ein durchgeknallter Vater, der Hilfe bei irgendeinem durchgeknallten Fluchtplan verlangte; eine Mutter, die anscheinend jede Verantwortung abgegeben hatte und ihre Tage damit verbrachte, aus dem Fenster zu starren, ihre Haare zu zwirbeln, Däumchen zu drehen und Elizabeth daran zu erinnern, einen reichen Mann zu heiraten; ein großer Bruder, der wohl der personifizierte Kleine Prinz war, zu gut für die profanen Notwendigkeiten des Familienlebens – Elizabeth wurde mit allem fertig. Weniger beeindruckend fand ich, dass sie es für ihre Pflicht hielt. Im 16. Jahrhundert hatte es noch keine Feministinnen gegeben, schon klar, aber musste sie denn jeden Wunsch ihres Vaters ohne Widerrede erfüllen, selbst dann noch, als er schon längst unter der Erde lag? Genau genommen war er nicht einmal ihr Vater, und egal, wie oft sie betonte, sein Fleisch und Blut zu sein, es war mir trotzdem aufgefallen: Sie hatte ihren Namen behalten.
    11 Ich fing an, mich auf die Nachmittage im Büro des Hoff zu freuen, auf Chris und Max und die Stunden voller Ruhe. Aber sie waren mir nicht so wichtig, wie für meine Abschlussprüfungen zu lernen oder Bewerbungen fürs College zu schreiben, und bei Weitem nicht so wichtig wie die Nächte, in denen Chris, Adriane und ich die Stunden bis zur Morgendämmerung mit Filmen, mitternächtlichen Autofahrten, mit Streifzügen durch verlassene Tunnel und auf Dächern verbrachten. Manchmal spielten wir sogar, wenn uns nichts anderes mehr einfiel, mit verstaubten Brettspielen aus Adrianes Keller, mit allem Möglichen, nur um nicht über die tickende Uhr reden zu müssen und den Tag, irgendwann nach unserem Abschluss, an dem jeder für sich den Rest seines Lebens beginnen würde. Die Briefe waren weniger wichtig als das alles, aber weil das so war, weil sie eine Fluchtmöglichkeit boten vor allem, was wichtig war – oder jemandem in vier Jahrhunderten wichtig gewesen war –, waren sie irgendwie doch wichtiger.
    E. J. Weston grüßt ihren liebsten Bruder John Fr. Weston.
    Du weißt, dass ich Dir alles sagen würde, doch trotz Deiner beharrlichen Fragen kann ich Dir nicht offenbaren, welches Versprechen ich unserem Vater gegeben habe. Du weißt ja nicht, wie er in seinen letzten Tagen war, geradezu besessen von diesem infernalischen Buch, fest entschlossen, sein größtes Werk zu vollenden, bevor der Tod ihn holte. Es gab Nächte, da wütete das Fieber so heftig, dass ich fürchtete, er würde vor meinen Augen verbrennen. Ich wischte ihm den Schweiß von der fieberheißen Stirn, während er den Himmel, die Engel, den Kaiser und auch mich schmähte. Die Mächte hätten sich gegen ihn verschworen, so behauptete er, in dieser und der jenseitigen Welt. War das so abwegig? Man erzählt sich hinter vorgehaltener Hand, dass sein Mörder vom Kaiser selbst gesandt wurde. Natürlich würde kein treuer Untertan den Kaiser eines solchen Verbrechens verdächtigen. Und meine Loyalität ist ungebrochen.
    Es war durchaus möglich, dass es sich bei dem »infernalischen Buch« um das wertvolle Voynich-Manuskript des Hoff handelte, doch selbst wenn der Professor da gewesen wäre, um mir das zu bestätigen – seit einer Woche hatte ihn niemand mehr gesehen –, hätte ich es für mich behalten. Wenn Elizabeth über Das Buch schrieb, bedeutete das, dass ihre Briefe doch nicht so wertlos waren, und dann wollte ich dem Hoff keinen Vorwand liefern, sie mir wegzunehmen.
    Jetzt treibt mich nur noch Loyalität an. Das letzte, große Werk unseres Vaters erwartet mich und ich habe endlich den Mut gefunden, es zu vollenden. Es gibt einen Mann, dessen Dienste ich benötige, doch ich kann seinen Namen nicht preisgeben. Mich schaudert bei dem Gedanken daran, was man sich erzählt, über ihn und die sonderbaren mechanischen Kreaturen, mit denen er sich umgibt, Kreaturen, deren Augen vor dämonischem Leben

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