Das Buch der Lebenskunst
ständig auf der Flucht vor sich selbst. Dann kommen sie nie zur Ruhe. Wenn wir uns unserer Sehnsucht stellen, dann können wir uns damit aussöhnen, dass unser Beruf unsere Erwartungen nicht erfüllt. Dann sind wir einverstanden mit uns selbst, mit unsern Fehlern und Schwächen. Wir müssen uns selbst ja gar nicht genügen.
Vor etwa 30 Jahren habe ich einmal ein Sensitivity-Training gemacht.
Dabei kam ich mit den unerfüllten Bedürfnissen meiner eigenen Kindheit in Berührung. Das hat eine Krise bei mir ausgelöst. Ich hatte das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein. Doch als ich im Urlaub einmal allein an einem See saß und auf die Wellen schaute, überkam mich auf einmal ein tiefer Friede. Ich konnte auf einmal einverstanden sein mit all den unerfüllten Bedürfnissen. Ich konnte mir sagen: „Es ist gut, dass du nicht satt geworden bist. Das hält dich wach und lebendig, das hält dich offen auf Gott hin. Vielleicht wärst du sonst auch verbürgerlicht, vielleicht hättest du so einigermaßen zufrieden dahingelebt. Aber du hättest deine eigentliche Berufung nie entdeckt.“ Ich sehe meine Berufung darin, die Sehnsucht in meinem Herzen wach zu halten, damit ich auf Gott hin offen bleibe und damit mein Herz weit wird auch gegenüber den Menschen. Das weite Herz hat Raum für die Menschen. Es verurteilt nicht. Es hat das Leben mit seinen Enttäuschungen und Desillusionierungen erfahren und angenommen. Aber es hat sich nicht zusammengezogen, sondern die Enttäuschungen als Absprung in die Weite Gottes genommen. Gerade indem es sich ehrlich seiner Situation gestellt hat, ist die Sehnsucht nach Gott in ihm gewachsen. Es ist dabei selber weit geworden.
ENTDECKE DEIN WAHRES GESICHT
Ein Grundsatz für unseren Lebensweg ist: „Lass dich nicht von andern bestimmen. Lass dir nicht von andern vorschreiben, welchen Weg du zu gehen hast. Geh deinen eigenen Weg. Werde du selbst. Entdecke deine ursprüngliche und unverfälschte Gestalt, die Gott dir zugedacht hat. Und hab Mut, das Ursprüngliche in dir zu leben. Wer warst du, bevor dich deine Eltern erzogen haben? Wer warst du in Gott, bevor du geboren wurdest?“ Erinnere dich an deinen göttlichen Kern. Wenn du mit ihm in Berührung kommst, kannst du in Freiheit deinen eigenen Weg gehen.
Nicht immer zeigen wir unser wahres Gesicht, wir kennen es oft nicht einmal. Dabei ist gerade dies unsere Lebensaufgabe: Entdecke dein wahres Gesicht! Mach dich frei von allen krankmachenden Bildern, die du je in deiner Lebensgeschichte erfahren hast, von falschen Selbstbildern und von kranken Gottesbildern. Wenn du durch Jesu Antlitz dein ursprüngliches Gesicht erkennst, dann wird durch dich eine heilende Wirkung auf deine Umgebung ausstrahlen. Lerne in jedem Menschen das Antlitz Jesu zu entdecken. Wer das Antlitz Jesu in einem Menschen sieht, der hilft ihm, frei zu werden von den Bildern, die ihm übergestülpt wurden und die sein wahres Wesen verstellen. Versuche, die Menschen in Berührung zu bringen mit ihrem unverfälschten Bild und sie so zu ihrem wahren Selbst zu führen.
VOM SINN DER ANGST
Angst hat einen Sinn und will mir etwas sagen. Ohne Angst hätte ich auch kein Maß, da würde ich mich ständig überfordern. Aber oft blockiert sie mich auch. Wenn ich dann mit der Angst rede, kann sie mich auf eine falsche Lebenseinstellung hinweisen. Oft rührt die Angst von einem Perfektionismusideal her. Ich habe Angst, mich zu blamieren, einen Fehler zu machen. Ich traue mich nicht, in der Gruppe zu reden, aus Angst, ich könnte stottern, oder die andern könnten es nicht gut finden. Ich habe Angst vorzulesen, weil ich stecken bleiben könnte. Hier weist die Angst immer auf übertriebene Erwartungen hin.
Auf dem Hintergrund des Perfektionismus steht die tiefsitzende Angst vor der eigenen Wertlosigkeit. Man möchte seinen Wert beweisen, indem man immer mehr arbeitet. Aber selbst wenn man einmal gelobt wird, ist es einem zu wenig. So tut man immer mehr, weil die Sehnsucht nach Bestätigung maßlos ist. Man hat nie genug mit der Anerkennung, die man bekommt. So arbeitet man sich zu Tode und findet doch nie den inneren Frieden.
Letztlich ist es Stolz, der Angst bewirkt. So könnte ich das Gespräch mit meiner Angst zur Demut führen. Ich könnte mich aussöhnen mit meinen Grenzen, mit meinen Schwächen und Fehlern: „Ich darf mich blamieren. Ich muss nicht alles können.“
Es gibt aber auch Ängste, die nicht auf eine falsche Lebenshaltung hinweisen, sondern die notwendigerweise mit
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