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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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großen Dinge, die für uns und in uns das fühlbare System des Weltalls darstellten. Alles ist Schatten und aufgewirbelter Staub; und keine andere Stimme als das Geräusch dessen, was der Wind aufhebt und fortträgt, und keine andere Stille als die Stille dessen, was der Wind zurückläßt. Die einen, leichte Blätter und daher weniger erdverbunden, wirbeln hoch auf im Vorhof und fallen außerhalb des Kreises der schwereren nieder. Andere, nahezu unsichtbar, aber ebenfalls Staub und verschieden nur aus der Nähe, bilden im Wirbel des Windes ihre eigene Schicht. Wieder andere, winzige Baumstämme, werden umhergewirbelt und fallen da und dort nieder. Eines Tages – am Ende der Erkenntnis aller Dinge – wird jene verschlossene Tür aufgehen, und alles, was wir waren – Sternen- und Seelenmüll –, wird aus dem Haus gefegt, damit, was existiert, von neuem beginnen kann.
    Mein Herz schmerzt mich wie ein Fremdkörper. Mein Gehirn schläft alles, was ich empfinde. Ja, der Herbstanfang, er bringt meiner Seele und der Luft jenes Licht ohne Lächeln, dessen lebloses Gelb das unregelmäßige Rund der wenigen Wolken des Sonnenuntergangs säumt. Ja, der Herbst beginnt, und mit ihm kommt in dieser klaren Stunde die klare Erkenntnis von der namenlosen Unzulänglichkeit aller Dinge. Herbst, ja, der Herbst, der beginnt oder schon begonnen hat und die vorweggenommene Müdigkeit aller Gesten, die vorweggenommene Enttäuschung aller Träume. Was kann ich erwarten, und woher nehme ich diese Erwartung? Schon in dem, was ich von mir denke, wirbele ich unter Blättern und Staub des Hofes auf der sinnlosen Umlaufbahn des Nichts und raschle als etwas Lebendiges auf den sauberen Fliesen, vergoldet von einer schräg einfallenden, ich weiß nicht wo verlöschenden Sonne.
    Alles, was ich dachte, alles, was ich träumte, alles, was ich getan oder nicht getan habe – all das wird im Herbst davonwehen wie die abgebrannten, über den Boden verstreuten Streichhölzer oder das zu falschen Kugeln zusammengeknüllte Papier oder die großen Imperien, all die Religionen und Philosophien, welche die schläfrigen Kinder des Abgrunds zum Spaß erfanden. Alles, was meine Seele war, von allem, was ich erstrebte, bis hin zu dem bescheidenen Zimmer, in dem ich wohne, von den Göttern, die ich hatte, bis hin zu Chef Vasques, den ich ebenfalls hatte, alles geht im Herbst davon, alles im Herbst, in der milden Gleichgültigkeit des Herbstes. Alles im Herbst, ja, alles im Herbst …

203
    Wir wissen nicht einmal, ob, was mit dem Tag endet, nicht in uns sein Ende nimmt als unnützer Schmerz oder ob wir nur ein Trugbild sind zwischen Schatten und die Wirklichkeit nicht nur die große Stille ohne Wildenten ist, die sich über die Seen senkt, an denen Schilfrohr steht, bevor es bricht. Nichts wissen wir, nicht einmal die Erinnerung an die Geschichten unserer Kindheit bleibt, nur Algen, und schon naht die Liebkosung künftiger Himmel, ein Lufthauch, in dem Unbestimmtheit sich langsam zu Sternen öffnet. Die Votivlampe flackert ungewiß im verwaisten Tempel, die Teiche verlassener Güter werden in der Sonne zu stehenden Gewässern, keiner kennt mehr den einst in den Baumstamm geritzten Namen, die Privilegien der Unbekannten wurden wie schlecht zerrissenes Papier über die Landstraßen verweht, aufgehalten nur von zufälligen Hindernissen. Andere werden sich aus demselben Fenster lehnen wie andere vor ihnen; und wer den finsteren Schatten vergessen hat, wird weiterschlafen und sich nach der Sonne sehnen, die er nie kannte; und ich, der ich wage, ohne zu handeln, werde sterben ohne Reue, im feuchten Schilf, beschmutzt vom Schlamm des nahen Flusses und meiner dumpfen Müdigkeit, unter weiten Herbstabenden, an unmöglichen Grenzen. Und durch all dies hindurch werde ich hinter meinem Tagtraum wie ein Zischen nackter Angst meine Seele spüren – ein klares, tiefes Heulen, vergeblich im Dunkel der Welt.

204
    15 .  9 .  1931
    Wolken … Heute erlebe ich den Himmel mit Bewußtsein, es gibt Tage, an denen ich ihn nur fühle und nicht betrachte, da ich in der Stadt lebe und nicht in der Natur, die sie einschließt. Wolken … Sie sind heute für mich das Wesentliche der Wirklichkeit und beschäftigen mich so, als ob das Überwachen des Himmels eine der großen Sorgen meines Schicksals sei. Wolken … Sie ziehen von der Flußmündung hin zum Kastell, von West nach Ost, in zerstreutem, nacktem Tumult. Zuweilen erscheinen sie weiß, wenn sie zerfetzt die Vorhut von

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