Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
beunruhigend waren, und er trachtete danach herauszufinden, wozu sie führen mochten.
Der Hilferuf, den der byzantinische Kaiser Alexios im Frühjahr an die abendländischen Christen gesandt hatte, war nicht unerwidert geblieben. Schon im Herbst hatten griechische Kaufleute berichtet, dass sich fern im Westen eine gewaltige Streitmacht sammle, deren erklärtes Ziel es sei, Byzanz im Kampf gegen die seldschukische Übermacht beizustehen und die heiligen Stätten der Christenheit aus der Hand der Muslime zu befreien. Zwar hatten weder der Sultan noch seine Emire und Atabege diesen abenteuerlichen Berichten anfangs Bedeutung beigemessen, doch die jüngsten Geschehnisse zeigten, dass sie in jeder Hinsicht wahr gewesen waren.
Gleich mehrere Heere hatten sich auf den Weg nach Osten begeben, sowohl zu Lande als auch zu Wasser, und zumindest eines von ihnen hatte die Stadt Konstantins bereits erreicht und war dabei, sich mit der Armee des Kaisers zu vereinen. Was genau dies zu bedeuten hatte, wohin die Kreuzfahrer, wie sie sich selbst nannten, ihre Schritte als Nächstes lenken würden und was sie im Schilde führten, war derzeit noch ungewiss, aber Bahram fühlte, dass Wind gesät worden war – und dass ein Sturm folgen würde.
» Ihr habt recht, Meister Jamal«, gab er zu. »V ielleicht trachte ich von den Gestirnen tatsächlich nur etwas zu erfahren, was ich in Wahrheit schon längst weiß. Möglicherweise ist es auch Hoffnung, die ich suche. Trost.«
»Ihr?« Die von Überanstrengung geröteten Augen Ibn Khalliks starrten ihn an. »Der Ihr ein Mann des Krieges seid?«
»Gerade deswegen«, erwiderte Bahram düster. Seine geheime Hoffnung war es gewesen, nach all den Jahren des Kampfes und der unzähligen Schlachten, die er in Fürst Duqaqs Auftrag geschlagen hatte, endlich ein wenig Ruhe zu finden und sich der Wissenschaft widmen zu können, die ihm so viel bedeutete. Doch die Zeichen der Zeit verhießen etwas anderes.
»Herr! Seht!«
Ibn Khalliks überraschter Ausruf riss Bahram aus seinen Gedanken. Er fuhr herum, sah den Alten mit erschrockener Miene hinauf zum Himmel deuten. Er folgte dem Fingerzeig der knöchrigen Hand – und gab einen Laut der Überraschung von sich, als er das leuchtende Gebilde erblickte, das am Firmament zu sehen war.
Für einen endlos scheinenden Moment zog es seine Bahn am nächtlichen Himmel, aus dem es geradewegs zu stürzen schien, dann erlosch es so plötzlich, wie es aufgetaucht war.
»Meister Jamal?«, wandte sich Bahram atemlos an den Alten.
Ibn Khallik war nicht in der Lage zu antworten.
Die ledrigen Züge des Sterndeuters waren zur Maske gefroren, der zahnlose Mund war weit geöffnet und rang nach Atem, während er noch immer dorthin starrte, wo die Himmelserscheinung verschwunden war.
»Meister Jamal?«, fragte Bahram noch einmal, drängend und sanft zugleich.
»Das Zeichen«, erwiderte der Alte flüsternd, ohne den Blick vom Firmament zu wenden. »Es ist erfolgt, für alle sichtbar. Ein Stern ist gefallen.«
» Und das bedeutet?«, wollte Bahram wissen, während er fühlte, wie sich sein Inneres zusammenzog.
Erst jetzt wandte sich der Sterndeuter ihm zu. Das Spiel seiner wässrigen, entzündeten Augen war so kalt und nüchtern, dass es Bahram schauderte. »Tod und Untergang«, erklärte der Alte knapp und mit tonloser Stimme. »Ein Reich wird untergehen – und ein neues entstehen.«
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1.
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Kreta
April 1097
»Sieh dir das an, mein Kind. Dunkle Wolken ziehen sich über uns zusammen.«
Die Stimme von Isaac Ben Salomon klang düster. Der Wind, der seit Monaten über die See strich und in diesem Frühjahr überhaupt nicht nachlassen zu wollen schien, zerrte an seinem Mantel und zerwühlte sein schlohweißes Haar. Die Gesichtszüge des alten Kaufmanns waren wie so oft in den letzten Wochen voll bitterer Sorge, denn die Zeit zerrann ihm unter den Händen.
Sein ursprünglicher Plan war es gewesen, von Genua aus auf einer der östlichen Kauffahrerrouten direkt nach Judäa zu gelangen, doch dies hatte sich als unmöglich erwiesen. Viele genuesische Kapitäne hatten ihre Schiffe im Hafen zurückgehalten, da sie mit den Kreuzfahrern bessere Geschäfte zu machen hofften; andere wieder hatten sich darauf verlegt, für die in Süditalien lagernden Heere Proviant und andere Versorgungsgüter zu transportieren, und verkehrten nur auf diesen Strecken.
In Ermangelung einer anderen Passage hatten Chaya und ihr Vater notgedrungen ein solches Schiff bestiegen, das sie
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