Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
Von dort aus jedoch boten sich zwei Möglichkeiten, um vom Hochland hinab nach Syrien vorzustoßen: Zum einen der direkte Weg, der über die Ausläufer des Taurus und durch eine schmale Schlucht führte, die weithin als die »kilikische Pforte« bekannt war, da sie den Zugang nach Kilikien und zur Stadt Tarsus öffnete, die in der Geschichte der Apostel als die Geburtsstätte des Heiligen Paulus genannt wurde; zum anderen bot sich die Marschroute über das weit im Nordosten gelegene Caesarea an, die zwar einen beträchtlichen Umweg bedeutete, die schwer zugänglichen Pässe jedoch mied und durch das überwiegend von Christen bevölkerte armenische Bergland führte, wo man nicht mit Widerstand zu rechnen hatte. Über Marash würde man in das Tal des Orontes gelangen und brauchte dem Fluss dann nur noch zu folgen, um Antiochia zu erreichen, das nächste große Ziel des Feldzugs.
Die Meinung darüber, welche Richtung man einschlagen sollte, war unter den Anführern geteilt. Während die meisten Franken, allen voran Godefroy de Bouillon und Raymond de Toulouse, im Hinblick auf die bereits erlittenen Verluste dem weiteren, aber größere Sicherheit versprechenden Weg den Vor z ug gaben, sprachen sich andere, unter ihnen Godefroys Bruder Baldwin de Boulogne und der ehrgeizige Normanne Tankred, vehement dafür aus, den direkten Weg nach Süden zu nehmen, ganz gleich, wie hoch die Verluste auch sein mochten. Zwar war es ein offenes Geheimnis, dass beide weniger den Erfolg der Unternehmung als vielmehr ihren eigenen Vorteil im Blick hatten und die reiche Beute, die die kilikischen Städte versprachen, auf sie einen größeren Reiz ausübte als die Aussicht auf ihr Seelenheil, doch war beider Einfluss und ihr Rückhalt unter ihren Rittern zu bedeutend, als dass sie einfach hätten übergangen werden können. Folglich war man übereingekommen, einen Spähtrupp auszusenden, der die kilikische Pforte erkunden und dem Fürstenrat berichten sollte. Kein anderer als der erfahrene Baldric war ausgewählt worden, diese Reiterschar anzuführen. Was die Späher allerdings vorgefunden hatten, war mehr als ernüchternd gewesen.
»Niemand, der bei Verstand ist, kann die porta cilicia ernsthaft in Erwägung ziehen«, mischte Conn sich in den Wortwechsel der beiden Freunde ein. »Die Schlucht mit dem Hauptheer zu durchqueren würde bedeuten, es völlig zu entblößen. Der Feind bräuchte sich nur in den Bergen zu verstecken und uns zu erwarten.«
»Nanu?«, fragte Bertrand und musterte ihn in gespieltem Erstaunen. »Sollte sich unter diesem Helm und diesem strohfarbenen Haar tatsächlich etwas Verstand verbergen?«
»Denkt Ihr anders darüber, Bertrand?«, wollte Berengar wissen.
»Mitnichten, Pater«, erwiderte der Normanne mit dem alten Grinsen. »Der Weisheit, die aus den Worten unseres angelsächsischen Freundes sprach, habe ich nichts hinzuzufügen. Und ich denke, dass es auch genau das ist, was unser Herr Baldric den Fürsten ber…«
Plötzlich waren von der Spitze des Trupps laute Rufe zu vernehmen. Conn und seine Gefährten tauschten fragende Blicke, dann gaben sie ihren Tieren die Sporen und schlossen z u Baldric auf, vornweg die beiden Normannen, dann Conn und schließlich der Mönch, der ein mageres, aber zähes Maultier ritt.
»W as gibt es?«, wollte Conn wissen, als er sein Tier neben Baldric zügelte. Von dem Hügelkamm aus, auf dem sie Halt gemacht hatten, konnte man das angrenzende Tal überblicken. Es wurde von einem schmalen Fluss durchzogen sowie von einer Straße, die dem Lauf des Wassers folgte. Verstreute Büsche und Bäume säumten die Straße, hohe Zypressen und gedrungene Kiefern, die seltsam geformte Schatten warfen – und in diesen Schatten wälzte sich eine Karawane über das steinerne Band der Straße: Kamele und Esel, die schwer beladen waren, dazu Reiter auf Pferden und Maultieren, die wie ein Schwarm Hornissen um den Zug schwirrten.
Da die meisten der Reiter mit langen, wehenden Mänteln bekleidet waren und Tücher um ihre Köpfe trugen, erkannte Conn nicht sofort, was sich dort unten abspielte. Als der Wind jedoch Schreie herauftrug und man im gleißenden Sonnenlicht Waffen blitzen sah, da wurde es nur zu offensichtlich.
»Das ist ein Überfall!«, rief Conn aus, während er sehen konnte, wie einer der Reiter kopfüber aus dem Sattel stürzte. Seine weiße Robe war rot gefleckt von Blut.
»Gott stehe diesen armen Seelen bei«, murmelte Berengar und bekreuzigte sich.
»W as sollen wir tun?«,
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