Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
dass ich ihn nur von seiner Aufgabe ablenke und er sich meinetwegen in Gefahr begibt. Wäre ich in Köln geblieben und hätte Mordechai Ben Neri geheiratet, wie Vater es für mich vorgesehen hatte, wäre womöglich alles anders …«
Sie unterbrach sich, als sie sah, wie Ezra verlegen die Lippen schürzte und einen langen Blick mit Caleb tauschte.
»Demnach weißt du es noch nicht?«, erkundigte sich ihr Cousin vorsichtig.
Chaya schaute fragend von einem zum anderen. »W as meinst du? Was soll ich nicht wissen?«
»W as sich nach eurer Abreise in Köln ereignet hat«, antwortete Caleb leise, und wieder wechselten sein Onkel und er einen Blick, was Chaya höchst beunruhigend fand.
»Nun, wir … wir hörten Gerüchte«, sagte sie. »W ährend wir i n Italien weilten, hieß es, dass jener Graf Emicho, der in Mainz grässliche Bluttaten verübte, Köln zwar erreicht hätte, jedoch unverrichteter Dinge wieder abgezogen sei, nachdem er in der Stadt keine Juden mehr vorfand.«
»Das ist er«, stimmte Ezra zu. »Aber Soldaten aus der Stadt und dem Umland haben sich in den darauf folgenden Wochen zu Banden zusammengeschlossen, die durch die Lande zogen und nach unseren Schwestern und Brüdern suchten. Glücklicherweise war ihnen auf ihrer Jagd kein allzu großer Erfolg beschieden, denn wie zu hören war, haben unsere Leute klug und besonnen gehandelt, sodass sich die meisten von ihnen den Nachstellungen des Pöbels entziehen konnten. Zweiundzwanzig jedoch fanden den Tod – unter ihnen auch Mordechai Ben Neri und Daniel Bar Levi, der Vorsteher der Kölner Gemeinde.«
»W as? Seid ihr sicher?«, fragte Chaya erschrocken.
»So sicher wir sein können. Ein Händler aus Venedig brachte die Nachricht im vergangenen Winter, der sie wiederum von einem jüdischen Kaufmann erfahren haben wollte, der oft in Köln weilt.«
»Ich verstehe.« Chaya nickte. Sie verspürte ein schmerzhaftes Ziehen im Bauch, nicht aus Trauer, denn dazu hatte sie Mordechai Ben Neri weder gut genug gekannt noch gemocht. Die Nachricht bestürzte sie dennoch, denn wenn ein Mann wie Mordechai, der es doch stets verstanden hatte, sich mit den Christen gutzustellen und Schaden von sich abzuwehren, der Mordlust der Fanatiker zum Opfer gefallen war, um wie vieles mehr mussten dann alle anderen Juden im Reich um ihr Leben fürchten?
»Die Christen sind Bestien«, zischte Caleb, der ihre Gedanken zu erraten schien. »Tiere in Menschengestalt. Wohin sie auch kommen, haben sie Tod und Zerstörung im Gefolge. Wir müssen sie aufhalten, sie erschlagen wie räudige …«
»Caleb«, rief Ezra seinen Sohn zur Ordnung. »Deine Hasstiraden helfen uns nicht weiter.«
» Das Fasten, das die Rabbiner predigen, aber auch nicht, Vater«, konterte der Jüngling trotzig, und an dem Funkeln in seinen Augen glaubte Chaya zu erkennen, dass es nicht der erste Streit war, den die beiden über dieses Thema austrugen.
»Du musst es Caleb nachsehen, Nichte. Wie so viele in diesen Tagen fürchtet er sich vor dem, was kommen wird, und er glaubt, seine Angst mit dem Geschrei nach Gewalt vertreiben zu können.«
»Das ist nicht wahr, Vater«, widersprach Caleb entschieden und bekam einen roten Kopf – zum einen aus Zorn, zum anderen wohl auch, weil Ezras Worte seine Eitelkeit kränkten. »Ich fürchte die Krieger des Kreuzes nicht! Gäbe es in unserer Gemeinde mehr, die so denken wie ich, hätten wir die Angreifer längst in die Flucht geschlagen!«
»Ein Kreuzfahrer ist es auch gewesen, der mich gerettet hat«, gab Chaya zu bedenken. »Es ist unstrittig, dass Diebe und Mörder unter ihnen sind. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es auch andere gibt, die die Gebote ihrer Religion achten und zwischen Freund und Feind wohl unterscheiden.«
»Aber ein Christenhund hat deinen Vater getötet!«, wandte Caleb wenig rücksichtsvoll ein.
»Und ein anderer hat mich vor einem grausamen Schicksal bewahrt«, hielt Chaya dagegen. »Oder glaubst du, ich säße hier vor euch, wenn die Tafur nicht vertrieben worden wären?«
»Chaya hat recht«, stimmte Ezra seiner Nichte zu. »W ir dürfen nicht in dieselbe Blindheit verfallen, mit der unsere Feinde geschlagen sind. Wir werden die Welt nicht ändern, indem wir ihre Schlechtigkeit annehmen, sondern indem wir das bewahren, was gut und gerecht ist auf Erden.«
Sein Blick verstärkte sich wie eine Flamme, die neue Nahrung fand, und Chaya begriff, worauf ihr Onkel angespielt hatte – auf das Buch von Ascalon. »Du hast sehr mutig gehandelt,
Weitere Kostenlose Bücher