Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
vorzustoßen, wo man Lager bezogen und mit der Belagerung der Stadt begonnen hatte. Seine Annahme, der Fürstenrat würde schon bald eine weitere Fehlentscheidung treffen und die Unternehmung dadurch gefährden, bewahrheitete sich jedoch nicht.
Das Gegenteil war der Fall, denn die späte Jahreszeit und das fruchtbare Orontes-Tal sorgten dafür, dass die Kreuzfahrer erstmals nach Verlassen der Heimat wieder im Überfluss schwelgen konnten, vom höchsten Fürsten bis hinab zum geringsten Knecht. Von den unzähligen Schafen und Rindern, die man von den Höfen des Umlands zusammentrieb, um sie zu schlachten, wurden nur die besten und saftigsten Stücke gegessen. Getreide, für das die meisten auf dem Hungermarsch durch Anatolien gemordet hätten, wurde schlichtweg verschmäht.
Die Stimmung im Lager war entsprechend gut, obschon es bislang nicht gelungen war, im Kampf gegen die seldschukischen Besatzer Antiochias entscheidende Erfolge zu erzie l en. Gewiss, man hatte Katapulte aufgestellt, mit denen die alten Mauern beschossen wurden, jedoch ohne nennenswertes Ergebnis. Und es war gelungen, drei der Stadttore abzuriegeln und den Muselmanen auf diese Weise einen Teil ihrer Nachschubwege zu verlegen – die nach Süden und Westen gerichteten Tore allerdings blieben auch weiterhin unbesetzt, weil die Anzahl der Truppen nicht ausreichte, um Antiochia mit einem vollständigen Belagerungsgürtel zu umgeben. Im Osten, wo die Stadt an eine unwegsame, von wilden Schluchten durchzogene Gebirgskette grenzte, war dies ohnehin unmöglich.
Ein durchschlagender Erfolg war vorerst also nicht abzusehen, stattdessen gab es Scharmützel mit den Türken, die fast täglich Ausfälle unternahmen und die Versorgungszüge der Kreuzfahrer überfielen. Dennoch war die Erleichterung darüber, die Stadt am Orontes erreicht zu haben und endlich weder Hunger noch Durst leiden zu müssen, im Heer derart groß, dass Guillaume nicht hoffen konnte, Eustace de Privas von der Notwendigkeit seiner Pläne zu überzeugen. Vorerst blieb ihm also nichts anderes übrig, als sich unterzuordnen und weiter jene geringe Rolle zu spielen, die andere ihm zugedacht hatten. Seine Stunde war noch nicht gekommen – und es verging kein Tag, an dem sein Vater ihn nicht daran erinnerte …
»Hast du gehört, was ich dir gesagt habe?« Renald de Rein stand vor ihm. Die breite Brust des Barons hob und senkte sich in freudiger Erregung, das kupferfarbene Haar klebte schweißnass an seinem bulligen Haupt, sein Kettenhemd war blutbesudelt. »Harenc ist gefallen!«
Guillaume nickte. Harenc war eine Burg der Muselmanen, die sich ein gutes Stück flussaufwärts über dem Orontes erhob. Von dort aus hatten die Seldschuken in den vergangenen Wochen wiederholt Angriffe auf die Kreuzfahrer unternommen, sodass der Fürstenrat beschlossen hatte, dieses Ärgernis auszumerzen. Kein anderer als der italische Normanne Bohe m und von Tarent war für diese Aufgabe ausgewählt worden, und Renald und einige andere Ritter hatten sich ihm angeschlossen – offenbar mit Erfolg.
»Es war ein glorreicher Sieg«, schwärmte Renald, dem das Kampfesblut noch in den Adern wallte. Kurzerhand packte er den Weinkrug, der vor Guillaume auf dem Tisch stand, setzte ihn an und schüttete den Inhalt gierig in sich hinein. Der Rebensaft rann an seinen Mundwinkeln herab und troff auf seine Rüstung, wo er sich mit dem Blut erschlagener Feinde vermischte.
»Ich gratuliere Euch, Vater«, sagte Guillaume ohne erkennbare Begeisterung. Er war nicht ins Zelt des Barons gekommen, um sich dessen selbstgefälliges Eigenlob anzuhören, sondern weil er den Rat seiner Mutter hatte suchen wollen. Eleanor de Rein saß ihm gegenüber an der Tafel, wie immer eine Stickarbeit in den Händen, der sie ihre ganze Aufmerksamkeit zu widmen schien – ein Eindruck, der freilich täuschte.
»Dieser Bohemund ist ein wahrer Teufelskerl«, fuhr Renald fort, der Guillaumes spöttischen Unterton entweder nicht gehört hatte oder geflissentlich unbeachtet ließ. »Die meisten Muselmanen hat er noch an Ort und Stelle getötet, den Rest hat er gefangen nehmen und vor dem Tor von St. Georg köpfen lassen. Das wird diese verdammten Türken lehren, was ihnen widerfährt, wenn Antiochias Mauern erst fallen.«
» Wenn sie fallen«, entgegnete Eleanor, ohne von ihrer Handarbeit aufzusehen. »Ist Euch nie der Gedanke gekommen, mein Gemahl, dass derlei Grausamkeiten die Entschlossenheit des Feindes nur noch stärken könnten?«
»Schweigt,
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