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Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman

Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman

Titel: Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Nichte. Doch nun ist die Zeit gekommen, die Last der Verantwortung anderen zu übertragen.«
    C haya zögerte. Weshalb, wusste sie selbst nicht genau zu sagen. Vielleicht, weil es ihr schwerfiel, sich von etwas zu trennen, das ihrem verstorbenen Vater so teuer und kostbar gewesen war. Vielleicht, weil sie in der kurzen Zeit, in der sie im Besitz des Buchs gewesen war, den Hauch des Ewigen verspürt hatte. Vielleicht aber auch, weil sie für einen kurzen Moment in Calebs Augen einen begehrlichen Glanz zu entdecken glaubte.
    »Es ist gut«, redete Ezra ihr zu. »Du hast die Aufgabe, die dir so unvermittelt übertragen wurde und auf die du nicht vorbereitet sein konntest, nach bestem Gewissen erfüllt. Nun ist die Zeit gekommen, um das Buch jenen zu übergeben, die wissen, wie sie damit zu verfahren haben.«
    »Und dieses Wissen«, fügte Caleb hinzu, wobei es erneut in seinen Augen funkelte, »wird unseren Feinden schlecht bekommen.«
    »W as meinst du damit?«, wollte Chaya wissen.
    »W enn du den Inhalt der Schrift kennst, brauchst du diese Frage nicht zu stellen. Du weißt, was das Geheimnis vermag, oder nicht?«
    »Ich weiß es, aber ich frage mich, ob dies seine Bestimmung ist.«
    »Darüber werden andere zu befinden haben«, stellte ihr Onkel klar. »Calebs und meine Aufgabe wird es sein, das Buch nach Jerusalem zu bringen, wo den Voraussagen gemäß an einem geheimen Ort ein neuer Sanhedrin zusammentreten und wie in den Tagen des Zweiten Tempels über das zukünftige Schicksal unseres Volkes entscheiden wird.«
    Chaya nickte. Ezras Worte deckten sich mit dem, was sie in der geheimen Schrift gelesen hatte. Demnach gab es im Volke Israel nicht nur Träger und Bewahrer, sondern auch Räte, die über Generationen hinweg das Amt ihrer Väter geerbt hatten für jene Zeit, in der der Sanhedrin, der einst das höchste politische Gremium in Judäa gewesen war, wieder tagen würde. Und angesichts der Tatsache, dass das Buch von Ascalon nach j ahrhundertelanger Wanderschaft wieder in seine Heimat zurückgekehrt war, war dieser Tag nicht mehr fern.
    Erleichtert darüber, die Schrift endlich aus den Händen geben zu dürfen, griff Chaya unter ihr Gewand und beförderte den Köcher zutage, der das Siegel Salomons trug und den sie wie einst ihr Vater von außen unsichtbar am Lederriemen über der Schulter trug. Sie öffnete die Schnalle und nahm den Riemen ab, stellte den Behälter vor sich auf den Tisch. Ein Leuchten huschte daraufhin über die Züge Ezras und seines Sohnes.
    »Das ist es«, stellte Ezra mit vor Andacht bebender Stimme fest. »Nur ein einziges Mal, vor vielen Jahren, habe ich es erblickt, dennoch erkenne ich es wieder.«
    »Darf ich es sehen, Vater?«, fragte Caleb, der seine Aufregung kaum zügeln konnte. In ungeduldiger Erwartung rieb er sich die Hände, kleine Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. »Darf ich einen Blick auf die Worte werfen, die unserem Volk Rettung und Freiheit bringen werden?«
    »Ja, Sohn. Die Zeit ist reif dafür.«
    Mit vor Ehrfurcht bebenden Händen griff er nach dem Köcher und öffnete den Verschluss. Dann drehte er die Röhre behutsam, um ihr die Rolle zu entnehmen – doch wie weiteten sich seine Augen, wie entsetzten sich seine Züge, als er nicht die ersehnte Schrift, sondern ein brüchiges Stück Pergament in den Händen hielt!
    »Herr im Himmel!«, rief er aus, während er vergeblich versuchte, noch eine zweite Schriftrolle aus dem leeren Köcher zu schütteln. »W as bei allen Propheten …?«
    Als Caleb sah, dass etwas nicht stimmte, riss er seinem Vater das Pergament aus den Händen und entrollte es, worauf es an einigen Stellen brach.
    Es war ein Palimpsest, an vielen Stellen abgeschabt und neu beschrieben, und nicht hebräische Zeichen, sondern lateinische Buchstaben prangten darauf.
    »W as hat das zu bedeuten?«, schrie er so laut, dass es von d er Gewölbedecke widerhallte und bis hinaus in den Garten drang. »W er hat das getan?«
    Chaya war kreidebleich geworden.
    Ungläubig starrte sie auf das Palimpsest, während sie das Gefühl hatte, in einen tiefen Abgrund zu stürzen.
    Nur eine Antwort fiel ihr auf Calebs Frage ein.
    Conwulf.

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19.
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    Feldlager nördlich von Antiochia
Ende November 1097
    Guillaume de Rein hatte recht behalten – zumindest in mancher Hinsicht.
    Wie er vorausgesagt hatte, war es den vereinten Verbänden der Kreuzfahrer tatsächlich gelungen, die eiserne Brücke über den Orontes zu überwinden und bis vor die Mauern Antiochias

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