Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
der Tür wartete Caleb Ben Ezra auf ihn, sein Unterführer bei der jüdischen Miliz, der jedes Wort des Gesprächs mitgehört hatte.
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21.
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Jüdisches Viertel, Acre
20. Mai 1099
»W as?« Chaya, die in ihrer Kammer auf einem Schemel kauerte und ihr Kind im Arm hielt, schaute zweifelnd zu ihrem Cousin auf. »Aber du hast gesagt, Conwulf sei entkommen!«
»Das habe ich«, räumte Caleb widerstrebend ein. »Ich wollte nicht, dass du dich um ihn sorgst.«
»W ie kommst du zu so einer Annahme?«
»Ich dachte, dass dir nichts mehr an ihm liegt nach allem, was er getan hat«, fuhr ihr Cousin nicht ohne Bitterkeit in der Stimme fort.
»W as ich persönlich empfinde, ist nicht mehr von Belang, Caleb«, wies Chaya ihn zurecht, um Fassung bemüht. »Conwulf hat mich verraten und bestohlen, hat mich und unser ganzes Volk hintergangen – wie könnte ich ihm da jemals verzeihen? Was immer auch mit ihm geschieht, es muss wohl geschehen.«
»Da bin ich mir nicht sicher«, sagte Caleb leise.
»W as meinst du damit?«
»Ich war dabei, als Hauptmann Bahram dem Kommandanten Bericht erstattete. Er sagte, dass Conwulf gefoltert worden sei.«
»Gefoltert«, murmelte Chaya. Die Vorstellung ließ sie erschaudern, aber sie wehrte sich mit aller Macht dagegen, Mitleid zu empfinden.
» … und dass er auch unter Folterqualen sein Schweigen nicht gebrochen habe«, fuhr Caleb fort.
»Er hat ihnen nichts gesagt?«, fragte Chaya nach. »Nichts über das Buch von Ascalon? Über Aron habrit ?«
»Nein.« Caleb schüttelte den Kopf.
Chaya überlegte. »Dann ist es ihm womöglich ernst gewesen. Er wollte das Geheimnis tatsächlich bewahren.«
»So ist es wohl. Und es gibt sogar einen Beweis dafür.«
»W elcher Art?«
»Das Buch von Ascalon. Ich hörte Hauptmann Bahram davon sprechen. Der Christ trug die Schriftrolle bei sich, als er zu uns kam. Ganz offenbar wollte er dich entscheiden lassen, was damit zu geschehen hat.«
»I-ist ist das wahr?«
Caleb nickte widerstrebend.
»Dann hat Conn also die Wahrheit gesagt«, folgerte Chaya, ihre Stimme matt und tonlos vor Entsetzen. »Er wollte mich nicht auf die Seite der Kreuzfahrer ziehen, sondern mir die Wahl überlassen. Als Beweis hatte er das Buch von Ascalon dabei – doch wir haben über ihn geurteilt, noch ehe er sich erklären konnte, und ihm schreckliches Unrecht zugefügt.«
Unbewegt saß sie da, das Kind in den Armen, und wog ihre Möglichkeiten ab. Dann erhob sie sich in einem jähen Entschluss.
»Nimm«, sagte sie und hielt Caleb das Kind mit derartiger Bestimmtheit hin, dass er nicht anders konnte, als es verdutzt entgegenzunehmen.
»W as hast du vor?«
»Ich werde mit Hauptmann Bahram sprechen.«
»Und was willst du ihm sagen?«
»Das weiß ich noch nicht.« Chaya schüttelte den Kopf. »Aber ich muss Conn helfen. Es ist unsere Schuld, dass er im Gefängnis ist.«
»W ie willst du das anstellen?«, fragte Caleb ein wenig zu laut. Der Junge auf seinem Arm begann daraufhin zu wei n en, sodass er er ihn unbeholfen hin und her wiegte – ohne Erfolg.
»Auch das weiß ich nicht, aber mir bleibt keine andere Wahl, als es zu versuchen. Conn hat unser Leben gerettet, nun retten wir seines.«
»Nein, das müssen wir nicht. Die Christen haben uns mehr Leid zugefügt, als einer von ihnen jemals gutmachen kann. Wir sind ihm nichts schuldig.«
»W ürdest du wirklich so denken, dann hättest du mir nicht erzählt, dass Conn noch in der Stadt ist«, erwiderte Chaya lächelnd. »Aber du hast es getan, Caleb, weil du weißt, was richtig ist und was falsch. Ich muss gehen und versuchen, Conn zu helfen. Eine andere Wahl habe ich nicht – und du auch nicht.«
Calebs Mund wurde zu einem dünnen Strich, seine Kieferknochen mahlten. Dann ließ er resignierend den Kopf sinken.
»Geh in Frieden, Chaya. Und sei vorsichtig.«
Heerlager der Kreuzfahrer, Sidon
Nacht des 20. Mai 1099
Baldric hatte keine Ahnung, wie lange er sich bereits in der Gefangenschaft Guillaume de Reins befand. Er hatte auch keine Vorstellung davon, was außerhalb des Zeltes geschah, in dem er festgehalten wurde.
Den Tag über hatte er Kampflärm gehört. Offenbar war es zu Zusammenstößen mit den Muselmanen gekommen, aber Baldric war zu schwach, als dass er sich darum geschert hätte. Sein Körper war eine von Brandwunden verunstaltete Hülle, sein fiebriger Geist schwamm in einem Ozean der Agonie. Dennoch hatten sich seine Peiniger gut darauf verstanden, den dünnen Faden, an dem sein Bewusstsein
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