Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
verließ die Kammer. Die Tür schloss er geräuschvoll hinter sich.
»Ist es das, was du wolltest?«, fragte Eleanor unverhohlen vorwurfsvoll.
»Habe ich eine andere Wahl?« De Rein verzog das Gesicht. »Der Junge ist ein Taugenichts. Er hat weder das Herz noch den Verstand eines wahren de Rein.«
»W ürdest du das auch sagen, wenn er dein leiblicher Sohn wäre?«
Der Baron blitzte sie scharf an. »Sei vorsichtig, Weib«, mahnte er, doch Eleanors blasse Züge blieben ebenso reglos wie unbeeindruckt.
»Keineswegs, mein Gemahl«, entgegnete sie, »nicht ich, sondern du bist es, der Vorsicht walten lassen sollte. Guillaume magst du mit deinem Gezeter beeindrucken können, aber nicht mich. Oder willst du, dass deine Männer erfahren, dass der Erbe ihres Anführers in Wahrheit nicht sein eigen Fleisch und Blut ist? Dass seine Lenden so kraftlos sind wie die eines Ochsen? Und dass er seinen eigenen …?«
Weiter kam sie nicht. Die Spitze von Renalds Dolch, die plötzlich an ihrer Kehle lag, brachte sie jäh zum Verstummen.
»Noch ein Wort weiter und ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, dass ich dir deine verräterische Kehle durchschneiden und dich verbluten lassen werde.«
»Und was dann?«, fragte sie dagegen, während sie ihn aus ihren grünen Augen taxierte. »W as würdest du dem König sagen? Was deinen Leuten? Und was Guillaume?« Eleanor l achte leise. »Nein, mein Gemahl. Um den Schein zu wahren, brauchst du mich ebenso, wie ich dich brauche. Wir beide sind auf Gedeih und Verderb aneinandergebunden, es mag dir behagen oder nicht.«
Noch einen Moment lang stand der Baron reglos, die Klinge in der vor Erregung zitternden Hand. Schließlich ließ er sie sinken. Seinem Augenspiel jedoch war zu entnehmen, welcher Aufruhr in seinem Inneren herrschte. »W ohin willst du?«, zischte er, als Eleanor sich wortlos erhob, den noch halb gefüllten Kelch auf einer Truhe abstellte und sich zum Gehen wandte.
»W ohin wohl?«, fragte sie mit geringschätzigem Blick zurück. »Zu Guillaume natürlich. Was er jetzt mehr als alles andere braucht, ist die tröstende Hand seiner Mutter.«
Damit öffnete sie die Tür und trat hinaus in die Halle, der Baron blieb schweigend zurück. Obwohl der große Raum, dessen Decke von starken, entlang der Seiten von steinernen Säulen gestützten Holzbalken getragen wurde, um diese Zeit von geschäftiger Betriebsamkeit erfüllt war – einige der Diener und Hofbeamten, die darin untergebracht waren, aßen noch, andere saßen an den Tischen und unterhielten sich, während einige Mägde im Fackelschein mit Näh- und Stopfarbeiten befasst waren –, bereitete es Eleanor keine Schwierigkeit, ihren Sohn zu finden.
Guillaume hatte am Ende einer der beiden Tafeln Platz genommen, die die Halle der Länge nach durchliefen, und starrte düster sinnierend in einen tönernen Bierkrug. In ihrem wallenden Gewand, das einen scharfen Kontrast zu den schlichten Röcken der Diener und den einfachen Kleidern der Mägde bot, durchquerte Eleanor den Raum und setzte sich zu ihm.
»Mutter«, flüsterte Guillaume, ohne aufzusehen.
»Du bist wütend«, stellte sie fest und legte die weiße, goldberingte Hand tröstend auf seinen Arm.
»Habe ich keinen Grund dazu?«
»Doch, den hast du. Jeden Grund, der sich denken lässt. Aber dein Zorn wird dir nicht weiterhelfen.«
» W as dann?« Er wandte den Blick und starrte sie an. Tränen heißen Zorns glänzten in seinen Augen. »W as auch immer ich tue, er wird mich niemals anerkennen.«
»Er ist ein Narr«, sagte Eleanor nur und hob die Hand, um ihm zärtlich eine Strähne seines langen blonden Haars aus dem Gesicht zu streichen. »Er ist nicht in der Lage zu sehen, was ich sehe.«
»Und was seht Ihr?«
Aus Eleanors Augen sprach Zuversicht. »Den zukünftigen Herren des Geschlechts de Rein«, erwiderte sie mit kühler Überzeugung, »und womöglich noch sehr viel mehr als das. Der Baron ist ein Mann mit Ambitionen, das ist wahr, aber sie beschränken sich darauf, in des Königs Diensten Ruhm zu erwerben und einen möglichst großen Flecken Land. Du hingegen kannst so viel mehr als das erreichen, und es spricht für seine Einfalt, dass er dies nicht zu erkennen vermag.«
Die Verblüffung war Guillaumes geröteten Zügen deutlich zu entnehmen. Natürlich wusste er, dass seine Mutter und sein Vater nur wenig füreinander übrighatten und ihre Ehe wenig mehr war als ein Zweckbündnis, das zwischen zwei mächtigen Adelsfamilien geschlossen worden war. Aber
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