Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
und schaffte es nicht, sein Bewusstsein zu erreichen. Unter einem Dachüberstand, der weit auf die Straße herabreichte und während des Winters Feuerholz beherbergte, hatte Conn vor dem Wolkenbruch Zuflucht gesucht. Da es nicht den Anschein gehabt hatte, dass der Regen rasch wieder aufhören würde, hatte er beschlossen, die Nacht an Ort und Stelle zu verbringen. Eine feste Bleibe hatte er ohnehin nicht, und aus Erfahrung wusste er, dass es weit schlechtere Schlafplätze gab als diesen.
An die Wand der Hütte gelehnt, hatte er die Gugel über den Kopf gezogen und die Augen geschlossen. Die wohlige Wärme der Kapuze und das gleichmäßige Trommeln des Regens hatten dafür gesorgt, dass er bald eingeschlafen war.
»Du sollst aufwachen, hörst du nicht?«
Erst als ihn eine Hand an der Schulter packte und unsanft rüttelte, kam er zu sich. Er blinzelte. Jemand war ebenfalls unter den Überstand geschlüpft und kauerte vor ihm am Boden, eine fast verloschene Fackel in der Hand. Das spärliche Licht reichte gerade noch aus, um das Gesicht des nächtlichen Besuchers zu beleuchten, und Conn erstarrte innerlich, als er Emma erkannte.
Sofort war er hellwach. »Emma, wie …?«
» Bin ich froh, dass ich dich gefunden habe«, presste die Magd mühsam hervor. Ihre Kleider waren durchnässt, ihr sonst rosiges Gesicht leichenblass. »Du musst mitkommen, auf der Stelle!«
»W as ist passiert?«
»Nia«, sagte die junge Frau nur – und das genügte, um ihn auf einen Schlag hellwach werden zu lassen.
»W as ist mit ihr?« Conn fühlte, wie ihm heiß und kalt wurde. Die Nacht und der prasselnde Regen hörten auf zu existieren, die Zeit schien stillzustehen.
»Sie … sie …«, versuchte Emma mit halb erstickter Stimme zu erklären.
Conn begriff, dass das Wasser in ihrem Gesicht nicht nur vom Regen rührte. Panik erfasste ihn. Ohne dass er es wollte, packte er die Magd bei den Schultern und schüttelte sie. »Emma, in Gottes Namen! Sag mir, was geschehen ist!«
»Ein normannischer Ritter … Guillaume de Rein …«
»W as ist mit ihm?«
»Er … er …«
Conn schloss die Augen, während er inständig zum Herrn flehte, dass das, was er befürchtete, nicht geschehen sein mochte. »Bring mich zu ihr«, forderte er Emma auf. »Kannst du das?«
Die Magd nickte stumm, offenbar erleichtert darüber, dass er auch so verstanden hatte. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, beschloss Conn, sie nicht mehr zu fragen – er wollte zu Nia, das war alles. Seine Sehnsucht danach, sie zu sehen und in seine Arme zu schließen, war niemals größer gewesen als in diesem Augenblick.
»Dann los«, forderte er Emma auf, und sie huschten aus dem Unterstand. Jetzt erst brachten die Dunkelheit und der strömende Regen sich wieder in Erinnerung, feucht und kalt, aber Conn störte sich nicht daran. Weder merkte er, dass die Fackel nach wenigen Schritten verlosch und es stockfinster wurde, noch nahm er die Nässe wahr, die seine Kleider tränkte u nd die den gestampften Lehm der Straßen in einen einzigen Morast verwandelt hatte. Seine schäbigen Stiefel versanken bei jedem Tritt, ebenso wie Emmas nackte Füße, sodass sie nur mühsam vorankamen und es eine gefühlte Ewigkeit dauerte, die eigentlich nur kurze Distanz zur Burg zu überbrücken.
Durch dunkle, schmutzige Gassen, die nur deshalb nicht nach Kot und Abfällen stanken, weil der gnädige Regen den Geruch fortgewaschen hatte, huschten sie auf den Großen Turm zu, der jenseits der strohgedeckten, vor Nässe glänzenden Dächer aufragte. Am Himmel gab es weder Mond noch Sterne, sondern nur abgrundtiefe Schwärze, aus der unaufhörlich Regen fiel.
Längst war Conns Kleidung völlig durchnässt, aber er nahm davon ebenso wenig Notiz wie von dem stechenden Schmerz in seiner Seite, der vom kurzen und stoßweisen Atmen rührte. Alles, woran er denken konnte, war Nia, deren Bild vor seinem geistigen Auge auftauchte, lieblich und anmutig, wie er sie zuletzt gesehen hatte. Die Angst, die in seinem Inneren brannte und wie ein Geschwür wuchs, brachte ihn fast um den Verstand.
Endlich erreichten sie das freie Feld, das sich zwischen den Ausläufern der Stadt und der Burg erstreckte und auf dem es keinen Schutz mehr vor dem peitschenden Wind gab. Hals über Kopf setzten sie einen Fuß vor den anderen und erreichten die hölzerne Brücke, die sich über einen schmalen Nebenarm des Flusses spannte und deren Bohlen glitschig waren vom Regen. Emma rutschte aus und fiel hin, wurde aber von Conn, der
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