Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
nie zuvor hatte er Eleanor derart offen und abschätzig über den Baron sprechen hören, der schließlich nicht nur ihr Gemahl war, sondern auch ihr Herr.
»W as hast du?«, fragte sie.
»Nichts, ich …«
»Du fürchtest ihn, nicht wahr?«
»Ihr etwa nicht?«
»Längst nicht mehr.« Eleanor lächelte. »Es gab eine Zeit, da habe ich meine Hoffnung in ihn gesetzt, aber das ist vorbei. Inzwischen, Guillaume, ruhen all meine Hoffnungen auf dir, und ich weiß, dass du sie nicht enttäuschen wirst.«
»Auf mir? Inwiefern, Mutter?«
»Der Tag wird kommen, da du das Erbe deines Vaters antrittst. Renald de Rein ist ein starrsinniger Narr, dem seine E hrsucht und seine altertümliche Auffassung von Loyalität und Treue irgendwann den Untergang eintragen werden. Dann, Guillaume, schlägt deine Stunde, und es liegt in deiner und in meiner Hand, die Gunst dieser Stunde zu nutzen und dafür Sorge zu tragen, dass uns niemand nehmen kann, was unser ist. Darauf müssen wir vorbereitet sein.«
»W ie?«
»Das überlass getrost mir«, entgegnete sie rätselhaft und berührte ihn sanft am Arm. »Bis dahin tröste dich mit dem Gedanken an den Tag, der dich für alle Schmach, die du hinnehmen musstest, mehr als entschädigen wird.«
»Ach ja?« Guillaume schürzte die schmalen Lippen. Was seine Mutter da sagte, gefiel ihm durchaus. Aber in Anbetracht der jüngsten Kränkung brachten ihre Worte keinen Trost. »Und wann wird dieser glückliche Tag anbrechen? Wann werde ich mich nicht mehr als einen törichten Gecken beschimpfen lassen müssen?«
»Deine Zeit wird kommen«, versuchte Eleanor ihn zu beschwichtigen. »V ielleicht schon sehr bald …«
»… oder niemals«, vervollständigte er bitter, schob ihre Hand weg und erhob sich. »Ich ertrage das nicht länger«, sprach er und stürzte dann zum Tor, das aus der Halle führte.
Eleanor schaute ihm nach, und ihr war klar, dass sich etwas ändern musste, wann immer sich auch die Gelegenheit dazu ergab.
Guillaume hatte das Gefühl zu ersticken, wenn er nicht sofort frische Luft bekam. Wütend stieß er die Tür der Halle auf und betrat den Hof. Sein Atem ging keuchend.
Es war dunkler, als er erwartet hatte.
Die Wolken, die den Abend über herangezogen waren, hatten sich zu einer Masse verdichtet, die sich als düstere, von violetten Tälern und blaugrauen Gebirgen durchzogene Himmelslandschaft über den Zinnen der Burg erstreckte. Und wohin man auch blickte, durchzuckten Blitze die hereinbre c hende Nacht, die sowohl die Wolkengebilde als auch den Innenhof der Burg flackernd beleuchteten. Donner war von fern zu hören, ein dumpfes Rumoren, das die Luft erbeben ließ.
Vom obersten Absatz der hölzernen Treppe aus, die vom Tor des Donjon in den Hof hinabführte, schaute Guillaume den Stallknechten und Mägden zu, die geschäftig umhereilten, um das Vieh und all das in Sicherheit zu bringen, was bei dem zu erwartenden Wolkenbruch trocken bleiben sollte.
Als der nächste Donner erklang, war er bereits bedeutend näher. Von Blitzen begleitet, zog das Unwetter heran und mit ihm die Erkenntnis, dass es eine unruhige Nacht werden würde. Spannung lag spürbar in der von Mückenschwärmen durchsetzten Luft und spiegelte Guillaumes inneren Aufruhr in mancher Weise wider. Er versuchte sich vorzustellen, dass das nahende Gewitter nicht nur eine weitere Laune des wankelmütigen englischen Wetters wäre, sondern ein Wink des Schicksals, ein Vorzeichen dafür, dass etwas Großes, etwas Unvorhersehbares geschehen würde. Etwas, das seinem langweiligen, von stumpfsinnigen Regeln beherrschten Leben eine Wendung geben und ihm die Bedeutung verleihen würde, die ihm von Rechts wegen zukam.
Der Gedanke gefiel ihm, und er verfolgte ihn weiter, gab sich Ideen und Vorstellungen hin, für die sein Vater ihn wenn nicht erschlagen, so doch mit dem Stock gezüchtigt hätte. Und inmitten dieser wilden, von Blut und Rachsucht beherrschten Reflexionen fiel sein Blick auf jene junge Frau, die ihm schon bei seiner Ankunft aufgefallen war.
Die Sklavin mit dem dunklen Haar.
Sie überquerte den Hof in Richtung Gesindehaus, in den Armen einen Korb mit Wäsche, die nicht nass werden sollte.
Wie am Abend war Guillaume auch jetzt gebannt von ihrer Schönheit. Spontanes Verlangen überkam ihn, und plötzlich wusste er, wie er all der Wut und Frustration, die sich in seinem Inneren aufgestaut hatten, Ausbruch verschaffen konnte.
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8.
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»Conn? Conn! Wach auf …!«
Die Stimme kam aus weiter Ferne
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