Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
marschierte – unter ihnen auch Conn und Baldric –, trug sein Schwert vor sich her. Den Edlen folgten die Gemeinen: Fußkämpfer, Handwerker, Mägde und Knechte sowie Pilger, die sich dem Heereszug angeschlossen hatten.
Während die Kreuzfahrer die Prozession, von der sie sich nicht mehr und nicht weniger als den entscheidenden Sieg e rhofften, mit dem entsprechenden Ernst begingen, schlug ihnen von den Mauern von Jerusalem zunächst Staunen und dann beißender Spott entgegen. Zahllose Orientalen, die alle einen Blick auf das in ihren Augen so seltsame Schauspiel erhaschen wollten, drängten sich auf den Wehrgängen, spähten zwischen den Zinnen hindurch und lachten schallend über ihre barfüßigen, in Andacht versunkenen Gegner.
Zu Beginn schien die Umrundung der Stadt eine Leichtigkeit zu sein. Je weiter der Tag jedoch voranschritt und je höher die Sonne in den Himmel stieg, desto größer wurde die Strapaze. Noch ehe sie das im Westen der Stadt gelegene Davidstor erreichten, hatten sich viele Büßer bereits die nackten Füße an spitzen Steinen blutig gestoßen. Auch Baldric war davon betroffen, aber die allgemeine Frömmigkeit, die die Streiter Christi erfasst hatte, trieb sie weiter vorwärts, auch dann noch, als ihre Füße blutrote Spuren auf dem heißen Gestein hinterließen. Infolge der Hitze wurde der Durst zur Qual. Zwar begleiteten Mägde mit Wasserschläuchen den Zug, die jenen, die danach verlangten, zu trinken gaben, jedoch reichte die Menge bei Weitem nicht aus, um alle zu versorgen, und so brachen einige von ihnen zur Belustigung der muslimischen Beobachter auf dem Weg zusammen und mussten zum Lager zurückgeschleppt werden.
Conn fürchtete, dass auch Baldric den Strapazen irgendwann Tribut zollen müsste, aber der zähe Normanne hatte sich so weit erholt, dass er den Bußgang bis zum Ende bestritt. Um das südliche Ende der Stadt mit dem Tor von Zion ging es durch die Täler von Kidron und Josaphat wieder gen Norden. Das Ziel des Zuges war mons olivarum , der Ölberg im Nordosten der Stadt – jene Stätte, auf der die Leiden des Herrn ihren Anfang genommen hatten und wo in alter Zeit eine Kapelle errichtet worden war, die an die Geschehnisse erinnern sollte.
Bis auch der letzte Pilger die Stätte erreicht hatte, war es später Nachmittag, und nahe der Kapelle wurde ein gewaltiger Gottesdienst abgehalten; ein Altar war unter freiem Himmel e rrichtet worden, um den sich die Träger der Kreuze und der Reliquienschreine gruppierten. Sodann kamen die Ritter und ihr Gefolge, zuletzt die Gemeinen – eine unüberschaubare Menge von Menschen, die gesenkten Hauptes den Worten der Priester lauschten und die Messfeier begingen.
Mit großer Spannung wurden die Predigten erwartet, denn jedem im Heer war klar, dass ein solches Ereignis nicht von ungefähr begangen wurde und Großes zu bedeuten hatte. Aus diesem Grund hatten die Fürsten beschlossen, die besten Prediger des Zuges sprechen zu lassen. Den Anfang machte Peter von Amiens, dessen Rednerkunst bei Kur-Bagha auf taube Ohren gestoßen war, der hier jedoch ungleich größeren Anklang fand; die nächste Ansprache hielt Raymond d’Aguilers, der Kaplan Raymonds von Toulouse, der Geistlicher und Gelehrter war und eine Chronik des Unternehmens verfasste; den Abschluss machte Arnulf von Rohes, der für seine flammenden Reden bekannt war.
Wie seine Vorgänger sprach auch er von Buße und Umkehr, von Demut und Opferbereitschaft und vom ewigen Lohn, den die Kreuzfahrer für ihren Einsatz in der bevorstehenden Schlacht um Jerusalem erhalten würden. Aber anders als sie schlug er in seiner Ansprache eine Brücke zwischen den Geschehnissen der Bibel und den aktuellen Ereignissen, die seinen Zuhörern, gleich ob von Adel oder gemein, das Gefühl gab, selbst ein Teil der biblischen Schickung zu sein.
»… und es ist kein Zufall, meine Brüder«, hörte Conn ihn so laut rufen, dass es weithin zu hören war, »dass wir uns hier versammeln, am Ort des schändlichen Verrats, der an unserem Herrn verübt wurde! Denn wir, die wir den weiten Weg gegangen sind, die wir trotz aller Mühen nicht umgekehrt und bis ans Ziel unserer Pilgerfahrt vorgedrungen sind, sind nur aus einem einzigen Grund hier: um die Geschichte unseres Glaubens neu zu schreiben! Hier an diesem Ort hat der Verräter Judas unseren Herrn für dreißig Silberlinge verraten. Wir jedoch nehmen die Herausforderung an, die der Allmächtige a n uns stellt! Wir haben Ihm Treue bis in den Tod
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