Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
Synagoge und der Bäckerei Elija Rabbans erstreckte. Vorbei am Gotteshaus, das seit jenem Vorfall von einer Schar Freiwilliger bewacht wurde, die sich mit Prügeln und Dolchen bewaffnet hatten und einer Meute gepanzerter Soldaten gleichwohl nur wenig entgegenzusetzen gehabt hätten, passierte er den öffentlichen Brunnen und bog in den Torweg ein, wo sich das Haus Daniel Bar Levis befand.
Inzwischen hatte sich der Tag fast dem Ende geneigt. Viele hatten ihre Häuser bereits verlassen, die Läden waren verschlossen und die Eingänge standen leer. Allenthalben waren Gestalten zu sehen, die Handkarren hinter sich herzogen oder hölzerne Lastgestelle trugen, dazu verschleierte Frauen, die ihre Kinder an den Händen führten. So, dachte Isaac bekümmert, musste es gewesen sein, als sich Israel auf die vierzigjährige Wanderschaft durch die Wüste begeben hatte. Damals allerdings hatte das Volk das Unrecht der Knechtschaft hinter sich gelassen und dabei Gott auf seiner Seite gewusst – diesmal kam es dem Kaufmann eher so vor, als würde die Zeit der Erniedrigung erst beginnen, was ihn mit tiefer Sorge erfüllte, zumal er sich unsicher war, was den Schutz des Höchsten betraf.
Bar Levis Haus befand sich am äußersten Rand der Judengasse. Aus diesem Grund hatte der Parnes hölzerne Verschläge an den zur Straße gewandten Fenstern anbringen lassen, um s ich und seine Familie vor Feindseligkeiten zu schützen. Ein Ochsenkarren stand vor der Tür, den die beiden Diener des Vorstehers mit Kisten beluden. Ester, Bar Levis Ehefrau, stand dabei und erteilte ihnen Anweisungen. In dem Augenpaar, das unter dem Schleier hervorblickte, war Furcht zu lesen wie in so vielen Gesichtern an diesem Tag.
»Friede mit Euch«, grüßte Isaac und neigte leicht das Haupt.
»Friede auch mit Euch, Isaac Ben Salomon«, erwiderte die Frau des Parnes. »Geht nur ins Haus. Mein Mann erwartet Euch bereits.«
Isaac bedankte sich mit einem Nicken, dann trat er unter dem niedrigen Türsturz hindurch ins Innere. Infolge der verschlossenen Fenster, die das späte Tageslicht aussperrten, waren Kerzen entzündet worden. Strenger Geruch erfüllte die Luft, der von Bitterkräutern rührte. Diese waren als Zeichen der Demut und wohl auch als Bitte für eine sichere Rückkehr in jenes Heim verbrannt worden, das Bar Levis Familie fast über ein ganzes Jahrhundert hinweg Schutz und Zuflucht gewährt hatte. In einer Zeit zu leben, in der sich all dies änderte, bedrückte Isaac auf eine Weise, die er nicht in Worte zu fassen vermochte. Es war das Gefühl, dem Sturmwind der Geschichte ohnmächtig ausgeliefert zu sein und nichts dagegen unternehmen zu können – mit einer Ausnahme, auch wenn sie auf altersschwachen Schultern lastete …
Isaac kannte Bar Levis Haus.
Oft hatten sie dort zusammengesessen, hatten koscheren Wein getrunken und Sabbatbrot gegessen. Isaac hatte das Heim des Vorstehers als einen Ort des Glücks und der Zufriedenheit erlebt, dessen Ordnung und Sauberkeit die innere Ausgeglichenheit seines Besitzers widerspiegelten. An diesem Tag jedoch war alles anders. Kisten standen umher, die Schränke waren geöffnet und nach Dingen durchsucht worden, die man den Plünderern nicht überlassen wollte, Wertgegenstände natürlich, aber auch solche, deren Bedeutung nicht auf den ersten Blick ersichtlich, sondern persönlicher Natur w ar und die man ebenfalls nicht blindwütiger Zerstörungswut preisgeben wollte.
Bar Levis Kinder, acht an der Zahl, tobten aufgeregt durch die Unordnung. Für die jüngeren, die noch nicht fähig waren, den Ernst der Lage zu begreifen, stellten die eingetretenen Veränderungen ein großes Abenteuer dar. Die älteren freilich, unter ihnen Daniels Erstgeborener Rehabeam, trugen die Sorge der Erwachsenen mit. In ihren Gesichtern stand dieselbe Todesangst, die auch die Älteren in diesen Tagen erfasst hatte.
Trotz der herrschenden Unordnung und der bevorstehenden Abreise begrüßte Rehabeam den Gast in aller Höflichkeit. Der Junge, dessen Bar Mitzwah nunmehr fünf Jahre zurücklag, verbeugte sich tief vor dem Gast und reichte ihm eine tönerne Schüssel mit Wasser, in der er sich die Hände waschen konnte. Dann führte er ihn zu seinem Vater.
Daniel Bar Levi saß in seinem Arbeitszimmer. Der größte Teil der Bücher und Aufzeichnungen, die der Parnes sein Eigen nannte, war bereits entfernt und in Kisten verpackt worden. Der Blick, mit dem er die Eintretenden bedachte, machte Isaac klar, dass der Vorsteher ihn bereits
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