Gaelen Foley - Amantea - 02
„Wir werden Ihnen nichts antun. Kommen Sie heraus. Es hat keinen Zweck, sich weiterhin zu verstecken.“
Verzweifelt unterdrückte sie ein Schluchzen und versuchte, nicht ganz die Beherrschung zu verlieren. Wohin sollte sie denn laufen? Seit ihrer Kindheit war sie oft in diesen Irrgar- ten gekommen, doch nun war sie so verängstigt, dass sie die Orientierung völlig verloren hatte.
In der Mitte des Labyrinths befand sich ein kleiner Spring- brunnen, dessen Plätschern jetzt zu hören war. Vielleicht würde sie sich doch wieder zurechtfinden. Sie ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass sich ihre Fingernägel in die Innenflächen bohrten, während sie sich an die Hecke drückte und Zoll um Zoll vorsichtig weiterschlich. Am Ende des Gangs presste sie den Rücken flach gegen die Büsche, da sie sich davor fürchtete, um die Ecke zu biegen. Sie wartete zit- ternd und betete innerlich, wobei sie versuchte, ihren ganzen Mut zusammenzunehmen.
Sie hatte keine Ahnung, was sie von ihr wollten.
Schon oft waren ihr von hoch gestellten, gierigen Höflingen Anträge gemacht worden, aber keiner hatte je den Versuch unternommen, sie zu entführen. Sie war noch nie mit einer Pistole bedroht worden.
Mein Gott, bitte hilf mir!
Wäre sie nicht vor Furcht erstarrt gewesen, hätte sie ver- mutlich laut geschrien. Der Wind wurde wieder stärker. Sie konnte frisch gemähtes Gras, Jasminblüten und den Schweiß eines Mannes riechen.
Sie kommen.
„Hoheit, Sie brauchen keine Angst zu haben. Wir sind Ihre Freunde.“
Sie hastete weiter, wobei ihr langes schwarzes Haar wild flatterte. In der Ferne donnerte es bereits. Erneut blieb sie stehen, da sie sich wieder fürchtete, um die Ecke zu biegen. Würde sie dort vielleicht auf Philippe oder den Blonden, Henri, stoßen, die nur darauf warteten, sie zu fangen? Immer wieder musste sie daran denken, wie ihre frühere Gouver- nante zu ihr gesagt hatte, dass etwas Derartiges geschehen würde, wenn sie nicht aufhörte, sich so wild und tollkühn zu gebärden.
Sie schwor sich, niemals mehr unüberlegt zu handeln. Niemals mehr mit einem Mann zu schäkern. Niemals mehr jemand zu vertrauen.
Ihre Brust hob und senkte sich im Rhythmus rascher
Atemzüge, und sie vermochte kaum, ihre Angst zu beherr- schen.
Sie kamen näher. Wohin sollte sie nur laufen?
Ich bin gefangen. Es gibt keinen Ausweg mehr.
In diesem Augenblick vernahm sie eine andere Stimme – kaum hörbar, ein gespenstisches Flüstern.
„Princesa.“
Hatte sie sich das eingebildet?
Dennoch schluchzte sie beinahe vor Erleichterung, da sie sich aus ganzem Herzen wünschte, dass ihre Wahrnehmung sie nicht getäuscht hatte. Nur ein Mensch nannte sie so. Es war das spanische Wort für ihren italienischen Titel – Principessa.
Wenn sie ihn jemals gebraucht hatte, dann jetzt.
Den schönen, düsteren Santiago.
Nur er hätte sie von diesem Albtraum befreien können. Doch er befand sich weit weg, um im Auftrag des Königs In- formationen zu sammeln und den Botschafter in Moskau zu beschützen, wo die neue Allianz gegen Napoleon begründet wurde.
Natürlich, Darius Santiago war ein unverschämter, einge- bildeter Heide, doch er kannte keine Angst. Sie glaubte fest daran, dass er alles vermochte. Obgleich sie ihn seit fast ei- nem Jahr nicht mehr gesehen hatte, war die Erinnerung an ihn sehr lebendig.
Wie arrogant er oft gelächelt hatte und wie durchdringend der Blick seiner schwarzen Augen gewesen war! Sie hatte das Gefühl, als wüsste er trotz der vielen Meilen, die sie voneinander trennten, stets, was sie tat.
„Allmählich werde ich dieser Jagd müde, ma belle“, warnte Henri sie. Sie sah durch die Hecke hindurch die zerzausten blonden Locken des Franzosen. Er blieb stehen und hielt den Kopf so, als würde er angespannt lauschen.
Mit weit aufgerissenen Augen, die Hände auf den Mund ge- presst, damit man ihr heftiges Keuchen nicht hören konnte, begann Serafina vorsichtig rückwärts zu gehen. Als auf ein- mal jemand an ihren Haaren zog, schrie sie beinahe auf. Sie wirbelte herum und stellte erleichtert fest, dass sich eine ihrer schwarzen Locken in einem Busch verfangen hatte.
„Princesa.“
Diesmal war sie sich sicher, das Wort wirklich vernommen zu haben. Aber wie war das möglich? Aufgeschreckt schaute sie sich um.
Konnte er tatsächlich erahnen, dass sie sich in Gefahr befand? War das Band zwischen ihnen wirklich noch so stark?
Plötzlich wusste sie, dass er sich in ihrer Nähe befand. Und im nächsten Moment
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