Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
ihr Kleid achtlos hingeworfen auf dem Bett liegen.
Die langen Strähnen schwarzen Haars auf dem Boden.
Abgeschnitten.
»W as … was hast du getan?«, stieß er keuchend hervor, kopfschüttelnd wie jemand, der sich weigerte, das Offensichtliche zu begreifen.
»Ich habe gehandelt, Vater«, erwiderte Chaya. Ihre gebeugte Körperhaltung, in der sie sich bis zur Wand zurückzog, verriet Demut. In ihren dunklen Augen jedoch schwelte die Flamme des Widerstands.
»Sag, bist du von Sinnen?« Noch einmal betrachtete Isaac das wunderschöne Haar auf den Dielen. Noch vor kurzem hatte es die Anmut ihrer Züge umrahmt, nun lag es dort wie Abfall.
»Nein, Vater«, widersprach sie leise. Ihre Stimme bebte, aber es war nicht der hysterische Tonfall von jemandem, der den Verstand verloren hatte oder noch dabei war, ihn zu verlieren. »Ich sehe die Dinge sehr viel klarer als zuvor. Ich habe getan, was du mich immer gelehrt hast – ich habe nachgedacht und eine Entscheidung getroffen.«
»Eine Entscheidung?« Er sah sie verständnislos an, noch immer zu entsetzt, um sich einen Reim auf all dies zu machen. »Eine Entscheidung worüber?«
»Über mein Leben. Ich weiß, dass ich es nicht an der Seite v on Mordechai Ben Neri verbringen möchte, und ich hoffe und bete, dass du mich nicht dazu zwingen wirst.«
»Aber was willst du dann tun?«
»Ich werde dich begleiten«, erklärte sie mit jener sanften Endgültigkeit, die auch aus dem Munde ihrer Mutter hätte kommen können.
»Mich begleiten?«
»Ins Land der Väter. Als kleines Mädchen hast du mir versprochen, dass du mich einmal dorthin mitnehmen würdest. Nun ist es so weit.«
»Das … das ist nicht möglich.« Isaac schüttelte den Kopf, während er sich gleichzeitig an den Behälter klammerte, den er unter seinem Mantel verborgen hielt, wie ein Ertrinkender an ein Wrackteil, als einen letzten Rest vermeintlicher Sicherheit, der ihm inmitten einer tosenden See geblieben war.
»W arum nicht, Vater?« Erstmals schwang ein Anflug von Trotz in ihrer Stimme mit. »W egen der Gefahren, die einer Frau auf einer solchen Reise drohen?« Sie lachte freudlos auf. »Sie können kaum verderblicher sein als hier.«
»Mordechai«, ächzte Isaac tonlos. »Er wird sich um dich kümmern, dich beschützen. Ich habe alles geplant …«
»Aber ich will den Schutz Mordechais nicht! Ebenso wenig wie seine Zuneigung. Und ich danke dir für deine Voraussicht und Fürsorge, Vater. Aber das Leben geht oft andere Wege, als wir sie planen, oder hast du das schon vergessen?«
»Nein, das habe ich nicht, aber ich …«
Er verstummte, um den Gedanken zu lauschen, die ihn lärmend umkreisten. So sehr ein Teil von ihm geneigt war, jenen inneren Stimmen Gehör zu schenken, die ihm zuriefen, er solle dem Ansinnen seiner Tochter entsprechen und sich glücklich schätzen, dass ihm der schmerzliche Abschied von ihr erspart blieb, so sehr mahnten ihn andere dazu, seiner Pflicht zu gehorchen und seine alleinige Aufmerksamkeit der Bürde zu widmen, die ihm übertragen worden war. Immer l auter schienen sie zu rufen, sodass er einen lauten Schrei ausstoßen musste, um sich ihrer zu entledigen.
»Genug!«
Chaya, die diesen Ausbruch missdeutete, zuckte erschrocken zusammen. Als jedoch keine weiteren Rügen folgten, wurde ihr klar, dass es nicht Zorn war, der ihren alten Vater die Fassung verlieren ließ, sondern pure Ratlosigkeit.
»Lass mich dir zwei Fragen stellen, Vater«, sagte sie deshalb ruhig in die entstandene Stille.
Isaac, der reglos vor ihr stand, die Arme um den hageren Körper geschlungen, betrachtete ihr bleiches, haarloses Antlitz mit trübem Blick. »W as für Fragen?«, wollte er dann wissen. Es klang müde.
Chaya nahm einen tiefen Atemzug, ehe sie antwortete. Dabei schaute sie ihrem Vater tief in die traurigen Augen. »Nicht einmal du als mein leiblicher Vater hast mich erkannt, als du in diese Kammer tratst. Wie also sollen andere erkennen, was ich in Wahrheit bin, wenn ich in dieser Verkleidung reise?«
»Und die zweite Frage?«
»W as«, entgegnete Chaya und deutete auf ihr kahles und blutiges Haupt, »wird Mordechai Ben Neri sagen, wenn er seine zukünftige Ehefrau so erblickt?«
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15.
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Rouen
August 1096
Etwas war geschehen, das Conn niemals für möglich gehalten hätte. Er hatte England verlassen.
Der Abschied von seiner alten Heimat war so schlicht verlaufen wie das Leben, das er dort geführt hatte. Nach ein paar weiteren Tagen im Hafen von London hatten er, Baldric
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