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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gelernt, so zu schleichen, dass selbst der Fuchs ihn nicht witterte? Konnte er kein Versteck finden, in dem ihn der Adler nicht erspähte und das Reh nicht hörte? War er zu plump, sich vor Hase und Luchs und Eule zu verbergen?
    Sie hatte mit ihm gespielt, hatte ihm das Erdlicht gezeigt, damit er Angst bekam. Sie hatte nicht geglaubt, ihn nach dem ersten Mal je wieder zu sehen. Tatsächlich hatte sie sich mit Vergnügen ausgemalt, wie er zitternd und schlotternd zu seinen Brüdern zurückkehren und ihnen von der dunklen Zauberin im Wald berichten würde. Dann aber hatte sie vor lauter Schadenfreude den Fehler begangen, ihrem Vater davon zu erzählen, von ihrem Triumph über den Mönch und wie sie Furcht in seinem Herzen gesät hatte.
    Der Vater war zornig geworden und hatte sie schwören lassen, das Erdlicht niemals wieder zu wecken. » Sie werden es sein, die zuletzt lachen, wenn du dummes Ding dich am Strick im Wind drehst. « Er hatte noch einiges mehr gesagt, in einem Ton, den sie nur selten von ihm hörte, und zuletzt war sie so eingeschüchtert gewesen, dass sie allem zugestimmt hatte.
    Kein Erdlicht mehr. Niemals wieder.
    Ein paar Mon a te lang hatte sie sich daran gehalten, aber dann hatte sie ihr Versprechen gebrochen, weit genug vom Turm entfernt, damit er es nicht bemerkte. Sie war vorsichtig geworden, achtsam wie die Elster, die Silberschmuck vom Fensterbrett stibitzte. Aber wenn sie abends nach Hause kam, zurück zum Turm über den Wipfeln, dann hatte sie ihm angesehen, dass er es wusste. Er sprach sie nie wieder darauf an, aber seine Blicke sagten mehr als jeder Vorwurf. Er war enttäuscht, und er hatte Angst um sie.
    Und dennoch konnte sie nicht vom Erdlicht lassen.
    Erst recht nicht, als der Junge zum zweiten Mal aufgetaucht war. Und zum dritten, vierten und fünften Mal.
    Sie hatte ihn unterschätzt. Statt ihm Angst einzujagen, hatte sie ihn neugierig gemacht, und so hatte sie die Regeln ihres Spiels geändert. Sie war bald sicher gewesen, dass er niemandem von ihr erzählte, sonst wären die anderen längst gekommen und hätten bei ihrem Vater vorgesprochen oder sie eingefangen. Nein, sie war sein Geheimnis, so wie das Erdlicht das ihre war. Was sie auf seltsame Weise zu so etwas wie Verbündeten machte.
    Obwohl er so unbeholfen war, ein grober Schleicher un d g ewiss ein tumber Tor, fühlte sie sich ihm verbunden. Zwei Menschen, die sich nicht kannten, nie ein Wort gewechselt hatten, und die doch so etwas wie ein stummes Abkommen geschlossen hatten. Ein Mönch und ein Mädchen, die von der Neugier immer wieder in den Bann des Verbotenen gezogen wurden, ob sie wollten oder nicht.
    Bestimmt hatte auch er ein schlechtes Gewissen, wenn er zu ihr in die Wälder kam. So wie Libuse sich vor den Blicken ihres Vaters schämte, wenn er wieder einmal ahnte, dass sie sein Vertrauen missbraucht hatte.
    Und nun hatte Nachtschatten alles zunichte gemacht.
    » Dummes, dummes Wildschwein «, fauchte sie im Lauf, obgleich sie natürlich wusste, dass Nachtschatten so viel mehr war als nur ein Wildschwein oder gar ein besonders großer Eber. Er war der Beschützer, den die alten Waldgötter ihr zur Seite gestellt hatten – daran glaubte sie ganz fest. So wie das Mönchlein einen Schutzengel haben mochte, so hatte sie Nachtschatten, der über sie wachte. Konnte sie ihm deshalb einen Vorwurf machen? Ja, verflixt, er wusste doch von dem Jungen, hatte seine Nähe zuvor schon ein halbes Dutzend Mal ignoriert. Warum also hatte er ihn ausgerechnet an diesem Tag in seinem Versteck aufgescheucht? Nun würde der Novize nie mehr wiederkommen, und was sie anfangs noch gehofft hatte, machte sie nun … traurig?
    Pah, dachte sie, sie würde doch nicht um einen dummen Pfaffen trauern! Nicht die Erbin der weiten Wälder, Kind der Wildnis, Tochter des Corax von Wildenburg.
    Sie blieb stehen, trat in stummer Wut gegen einen abgebrochenen Ast und sah zu, wie loser Pulverschnee von den Zweigen rieselte. Es hatte wieder zu schneien begonnen, sie roch es in der Luft, sah hier und da auch ein paar Flocken durch das Dach der Baumwipfel fallen. Die Senke am Fuß der Eiche würde bald wieder in unberührtem Weiß daliegen und alle Spuren des Erdlichts wären verwischt.
    Der Wald um sie herum war in vollkommener Stille erstarrt. Nachtschatten, wo immer er sein mochte, regte sich nicht. Kein berstendes Unterholz, kein Schnauben mehr aus dampfenden Nüstern. Sie glaubte seinen Blick zu spüren, aus einer Gruppe eng beieinander stehender Tannen,

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