Das Büro
auf derselben Stilebene angesiedelt ist und sich bei der Übersetzung nicht zu weit vom Original entfernt. Doch das zu erkennen und umzusetzen ist übersetzerisches Handwerk und kein Geniestreich.
Oft sind es Nuancen, die dem Gesagten ihre besondere Aussage geben. Mühe bereiten dabei vor allem zeitgebundene, oft jugendsprachliche Ausdrücke. Ein Beispiel hierfür ist das von Voskuil gern benutzte Wort
mieters
, das soviel wie «toll», «prima» oder «klasse» bedeutet, aber eine leicht sexuelle Konnotation hat. Es ist abgeleitet von
sodemieter
, Einwohner der Stadt Sodom – bekanntlich Anhänger «widernatürlicher» Sexualpraktiken –, und würde sich im Deutschen wohl am ehesten mit «geil» übersetzen lassen. Das Problem ist jedoch, dass
mieters
ursprünglich ein Wort aus den 1920er Jahren ist, inzwischen reichlich altmodisch wirkt und fast ausgestorben ist(dank
Het Bureau
allerdings ein Revival in der niederländischen Sprache erlebt hat). Und solange man als Übersetzer nicht weiß, ob zu Zeiten des jüngeren Maarten Konings, das heißt in den 1950er und 60er Jahren, auch in Deutschland bereits von einer «geilen Sache» gesprochen wurde, sollte man es vielleicht bei einem neutralen Wort wie «toll» oder «klasse» belassen.
Fingerspitzengefühl erfordern auch gewisse sprachliche Marotten der Romanfiguren. Da gibt es etwa die mit vielen Frage- oder Ausrufezeichen versehenen Temperamentsausbrüche Nicoliens, die mürrisch-knappe Redeweise des späteren Institutsleiters und Beerta-Nachfolgers Balk, das entrüstete Stottern Freek Matsers, die ewig gleichen Wendungen der Kommissionsvorsitzenden Kaatje Kater («Hört, hört!») oder die pedantisch-präzise Ausdrucksweise des Koning-Mitarbeiters Bart Asjes («Dagegen möchte ich doch ernsthaft Widerspruch anmelden»). Denn hier zeigt sich eines der eher praktischen Probleme bei der Übersetzung. Es hat damit zu tun, dass es sich bei
Het Bureau
um einen Schlüsselroman handelt – das heißt, alle Figuren, die darin auftauchen, haben ihre Vorlage im realen Leben. Deshalb kann es nicht schaden, wenn man sich als Übersetzer auch mit den
realen
Personen beschäftigt, die den Voskuil'schen Bürokosmos bevölkert haben und ihn zu seinem Roman inspirierten. Für das bessere Verständnis des Textes lohnt es sich, mehr über sie herauszufinden: wer sie waren (oder sind), wie sie aussahen und, vor allem, wie sie sprachen und sich gaben.
Als Übersetzer hat man manchmal das Vergnügen, bei einem Autor zu Hause eingeladen zu sein und sozusagen einen Blick in die literarische Küche werfen zu können – bei Voskuil war es gleich ein doppeltes Vergnügen. Denn so wie das Büro ist auch der zweite große Handlungsort im Roman nach dem Leben gezeichnet: die Wohnung des Autors in der Herengracht in Amsterdam. Ist man dort zu Besuch, bewegt man sich gewissermaßen in der Romankulisse und gewinnt so eine Vorstellung von Ambiente, Atmosphäre und Entfernungen. Außerdem lassen sich dabei – für einen Übersetzer manchmal so überaus wichtige – Fragen klären wie die nach der im Roman erwähnten Kaminverkleidung oder ob es sich bei den beschriebenen
stoelen
um «Stühle» oder «Sessel» handelt. Geht es um die erste, im Roman ebenfalls prominent vertretene Wohnung in der Lijnbaansgracht in Amsterdam, kann man die Witwe des Autors, Lousje Voskuil-Haspers, fragen.
Aber vor allem ist es immer wieder die Sprache selbst, die zu schaffen macht. So ist es nicht leicht, in der Übersetzung stets den knappen, lakonischen Ton zu treffen, in dem der Roman gehalten ist. Denn manchmal ist dieser Duktus
so
knapp und
so
lakonisch, dass die Sätze nur schwer ins Deutsche zu transportieren sind: Wortwiederholungen, unverbundene Aufzählungen, falsche Vorzeitigkeiten – alles, was im Deutschen (und eigentlich auch im Niederländischen) verpönt ist (dort allerdings eher toleriert wird als bei uns). Man kann den Text natürlich glätten, doch, so meine Erfahrung, man tut ihm letztlich keinen Gefallen damit. Denn dieser Stil ist ebenso gewollt wie prägend für
Het Bureau
und macht einen wesentlichen Teil seiner Wirkung aus.
Voskuil zu übersetzen ist also keine ganz leichte Aufgabe, aber es ist machbar. Und letztlich sollte man sein Tun als Übersetzer auch nicht zu ernst nehmen, sondern es eher als großen Spaß betrachten. Denn wenn
Het Bureau
eine beherzigenswerte Botschaft enthält, ist es die, die Maarten Koning seinem Untergebenen Ad Muller gleich bei Dienstantritt mit auf den Weg
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