Das Chagrinleder (German Edition)
seine bleierne Haut traten um so deutlicher hervor; so konnte man das Lachen nicht verbeißen, wenn man diesen Kopf mit dem spitzen Kinn und der vorstehenden Stirn sah, der an die grotesken Holzschnitzereien erinnerte, die deutsche Schäfer in ihren Mußestunden schnitzten. Wer abwechselnd diesen alten Adonis und Raphael betrachtete, hätte in dem Marquis die Augen eines Jünglings in der Maske eines Greises und in dem Unbekannten die erloschenen Augen eines Greises in der Maske eines jungen Mannes zu erkennen geglaubt. Valentin suchte sich zu erinnern, wo und wann er diesen vertrockneten Alten schon gesehen hatte, der so eine zierliche Halsbinde trug, gestiefelt und gespornt wie ein Jüngling einherschritt, und die Arme über der Brust kreuzte, als hätte er alle Kräfte einer sprühenden Jugend zu verschwenden. In seinem Gang lag nichts Vorgetäuschtes oder Erzwungenes. Den alten, starkknochigen Körper vermummte ein eleganter, sorgfältig zugeknöpfter Rock und verlieh ihm das Aussehen eines alten Gecken, der noch der Mode huldigt. Diese seltsame lebendige Puppe hatte für Raphael den ganzen Reiz einer Gespenstererscheinung, und er betrachtete sie wie einen alten, verräucherten, kürzlich restaurierten, gefirnißten und in einen neuen Rahmen gesteckten Rembrandt. Dieser Vergleich führte ihn in seinen wirren Erinnerungen wieder auf die rechte Spur: er erkannte den Antiquitätenhändler wieder, den Mann, dem er sein Unglück verdankte. In diesem Augenblick lachte dieser phantastische Alte ein lautloses Lachen, das sich auf seinen blutleeren Lippen abzeichnete, hinter denen ein falsches Gebiß sichtbar war. Bei diesem Lachen entdeckte Raphaels lebhafte Phantasie die frappierende Ähnlichkeit dieses Gesichts mit dem Typus des Kopfes, den die Maler Goethes Mephistopheles gegeben haben. Tausend abergläubische Vorstellungen bemächtigten sich Raphaels starker Seele, auf einmal glaubte er an die Macht des Teufels, an all die Hexenkünste, die in den Legenden des Mittelalters überliefert und von den Dichtern aufgegriffen worden sind. Ihn schauderte vor dem Schicksal Fausts, er rief den Himmel an, denn den Sterbenden gleich erfüllte ihn plötzlich ein glühender Glaube an Gott und die Jungfrau Maria. Ein strahlendes Licht ließ ihn den Himmel Michelangelos und Raffaels schauen: Wolkengebilde, einen alten Mann mit weißem Bart, Engelsköpfe, eine schöne Frau, von einem Heiligenschein umgeben. Jetzt begriff er diese wunderbaren Schöpfungen und machte sie sich zu eigen, da ihre geradezu menschlichen Phantasien ihm sein Abenteuer deuteten und ihm noch eine Hoffnung ließen. Als er aber seine Augen wieder ins Foyer der Oper senkte, erblickte er anstelle der Heiligen Jungfrau ein reizendes Mädchen, die verdorbene Euphrasie, die Tänzerin mit dem biegsamen und graziösen Körper, die, in einem strahlenden, mit orientalischen Perlen überladenen Gewand ungeduldig auf ihren ungeduldigen Greis zuschritt und sich mit kecker Stirn und blitzenden Augen dreist dieser neidisch lauernden Gesellschaft präsentierte, um den grenzenlosen Reichtum des Händlers zu bezeugen, dessen Schätze sie verschwendete. Raphael entsann sich des spöttischen Wunsches, mit dem er das verhängnisvolle Geschenk des Alten angenommen hatte, und genoß alle Wonnen der Rache, da er nun die tiefe Erniedrigung dieser erhabenen Weisheit sah, deren Sturz noch vor kurzem unmöglich schien. Das Grabeslächeln des Hundertjährigen war an Euphrasie gerichtet, die es mit einem Liebeswort erwiderte; er bot ihr seinen Knochenarm, machte zwei- oder dreimal die Runde um das Foyer, empfing selig die leidenschaftlichen Blicke und die Komplimente, welche die Menge seiner Geliebten zuwarf, ohne das verächtliche Lachen und den beißenden Spott zu bemerken, dessen Gegenstand er war.
»Auf welchem Kirchhof hat dieser junge Vampir den Leichnam ausgescharrt?« rief der eleganteste der Romantiker.
Euphrasie lächelte. Der Spötter war ein schlanker junger Mann mit blonden Haaren, blauen, strahlenden Augen und einem Schnurrbart; er trug einen kurzen Frack, den Hut auf dem Ohr, war nicht auf den Mund gefallen: ganz die Sprache der neuen Schule.
»Wie viele Greise«, sagte sich Raphael im stillen, »krönen ein ehrbares, arbeitsames, tugendhaftes Leben mit einer Torheit! Der steht schon mit den Füßen im Grab und hält sich eine Geliebte.«
»Nun, wie ist es?« rief er den Händler an und liebäugelte mit Euphrasie; »erinnern Sie sich nicht mehr der strengen Grundsätze
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