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Das Chagrinleder (German Edition)

Das Chagrinleder (German Edition)

Titel: Das Chagrinleder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Gedanken; er sah sich, nicht ohne Überraschung, düster und zerstreut inmitten dieser lachenden Welt; er gewahrte sich, wie er immer über sein Schicksal nachgrübelte, mit seinem Leiden beschäftigt war, das harmloseste Gespräch anscheinend verschmähte, wie er die flüchtigen Vertraulichkeiten scheute, die sich zwischen Reisenden schnell einstellen, weil sie zweifellos damit rechnen, einander nie wieder zu begegnen; er war kaum um die anderen bekümmert und glich letztendlich jenen Felsen, die gegen das Kosen wie gegen das Wüten der Wogen unerschüttert bleiben. Jetzt las er mit einer seltenen Gabe der Intuition in allen Seelen: im Schein eines Leuchters entdeckte er den gelben Schädel und das hämische Profil eines Greises und erinnerte sich, daß er ihm sein Geld abgewonnen hatte, ohne ihm Revanche einzuräumen; ein Stück weiter saß eine hübsche Frau, gegen deren kokette Winke er kalt geblieben war; jedes Gesicht warf ihm ein anscheinend unerklärliches Unrecht vor, sein Verbrechen bestand indes immer in einer unsichtbaren Verletzung der Eigenliebe. Ungewollt hatte er all die kleinen Eitelkeiten, die um ihn kreisten, beleidigt. Die Teilnehmer an seinen Festen oder diejenigen, denen er seine Pferde angeboten hatte, hatten sich über seinen Luxus geärgert; von ihrer Undankbarkeit überrascht, hatte er ihnen diese Art Demütigung erspart; von da an hielten sie sich für verachtet und warfen ihm Dünkel vor. Während er so auf dem Grund der Herzen las, konnte er ihre geheimsten Regungen entziffern; die Gesellschaft, ihre Höflichkeit, ihr Firnis waren ihm widerwärtig. Weil er reich und geistig überlegen war, wurde er beneidet und gehaßt; seine Schweigsamkeit enttäuschte die Neugier; seine Bescheidenheit schien diesen kleinlichen, oberflächlichen Leuten Hochmut. Er kannte jetzt das verborgene, das nicht wiedergutzumachende Verbrechen, das er gegen sie begangen hatte: er entzog sich dem Urteilsspruch ihrer Mittelmäßigkeit. Er lehnte sich gegen ihren zudringlichen Despotismus auf, er brauchte sie nicht; um sich für dieses heimliche Königtum zu rächen, hatten sich alle instinktiv verbündet, um ihn ihre Macht spüren zu lassen, ihn einer Art Scherbengericht zu unterwerfen und ihm zu zeigen, daß sie ihn gleichfalls nicht brauchten. Zuerst war er bei diesem Anblick der Welt voller Mitleid; aber bald schauderte ihn, wenn er an die seltsame Gabe dachte, die ihm so den körperlichen Schleier, unter dem die innere Natur geborgen ist, lüftete. Plötzlich senkte sich ein schwarzer Vorhang über dieses düstere Bild der Wahrheit, und er fand sich allein in der furchtbaren Einsamkeit, die das Los der Großen und Mächtigen ist. In diesem Augenblick überfiel ihn ein heftiger Hustenanfall. Anstatt ein einziges der gleichgültigen und banalen Worte zu vernehmen, mit denen die zufällig zusammengeführten Mitglieder der guten Gesellschaft wenigstens eine Art höfliches Mitleid heucheln, hörte er feindselige Rufe und leise gemurmelte Beschwerden. Die Gesellschaft gab sich nicht einmal mehr die Mühe, sich für ihn zu verstellen, vielleicht weil er sie doch durchschaut hätte.
    »Seine Krankheit ist ansteckend.« – »Die Direktion müßte ihm verbieten, ins Kurhaus zu kommen.« – »Es ist ja wahrhaftig polizeiwidrig, so zu husten!« – »Jemand, der so krank ist, soll nicht ins Bad reisen.« – »Er wird mir den Aufenthalt verleiden.«
    Raphael stand auf, um sich der allgemeinen Verwünschung zu entziehen, und ging im Saal auf und ab. Er wollte einen Schutz finden und näherte sich einer jungen Dame, die gelangweilt dasaß; er dachte, ihr einige Schmeicheleien zu sagen, aber als er herantrat, wandte sie ihm den Rücken und tat so, als sähe sie den Tänzern zu. Raphael fürchtete, an diesem Abend seinen Talisman schon gebraucht zu haben; er fühlte weder den Willen noch den Mut, ein Gespräch zu beginnen, so verließ er den Salon und zog sich in das Billardzimmer zurück. Da sprach niemand mit ihm, keiner grüßte ihn oder warf ihm auch nur den kürzesten wohlwollenden Blick zu. Sein von Natur aus nachdenklicher Geist enthüllte ihm wie in einer Eingebung die allgemeine und verständliche Ursache der Abneigung, die er hervorgerufen hatte. Diese kleine Welt gehorchte, vielleicht unbewußt, dem großen Gesetz, das die vornehme Gesellschaft regiert, deren unversöhnliche Moral sich vor Raphaels Augen völlig enthüllte. Er sah in die Vergangenheit zurück und erkannte das vollendete Urbild dieser Gesellschaft in

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