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Das Chagrinleder (German Edition)

Das Chagrinleder (German Edition)

Titel: Das Chagrinleder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Gefühle zeigen. Wenn er allein unter einem Baum zu sein glaubte und mit einem furchtbaren Hustenanfall rang, den er nie bezwang, ohne aus diesem gräßlichen Kampf völlig zerschlagen hervorzugehen, sah er die hellen glänzenden Augen des kleinen Jungen auf sich gerichtet, der wie ein Wilder im Grase auf Posten lag und ihn mit jener kindlichen Neugier belauerte, in der ebensoviel Spott wie Vergnügen und ein seltsames, gefühlloses Interesse lag. Ständig schien in den Augen der Bauern, bei denen Raphael lebte, der schreckliche Gruß der Trappisten [Fußnote: Trappisten : reformierte Zisterzienser mit einem strengen Schweigegelübde, von dem nur der tägliche Gruß ›memento mori‹ (Gedenke des Todes) ausgenommen war.] zu stehen: ›Bruder, gedenke des Todes‹. Er wußte nicht, was er mehr fürchtete, ihre einfältigen Worte oder ihr Schweigen; alles an ihnen störte ihn. Eines Morgens sah er zwei schwarzgekleidete Männer, die um ihn herumschlichen, ihn umwitterten und ihn verstohlen belauerten; freilich taten sie, als wären sie nur als Spaziergänger hierher gekommen, und stellten ihm gleichgültige Fragen, auf die er kurz angebunden antwortete. Er erkannte sie als den Arzt und den Geistlichen des Badeorts, die ohne Zweifel von Jonathas geschickt oder von seinen Wirtsleuten zu Rate gezogen oder gar vom Geruch des nahen Todes angelockt worden waren. Nun sah er sein eigenes Leichenbegräbnis voraus, hörte den Gesang der Priester, zählte die Kerzen und sah die Schönheiten dieser reichen Natur, in deren Schoß er das Leben gefunden zu haben glaubte, nur noch wie durch einen Trauerschleier hindurch. Alles, was ihm vor kurzem noch ein langes Leben verkündet hatte, prophezeite ihm jetzt ein nahes Ende. Am nächsten Tag reiste er nach Paris ab, nachdem er die Flut schwermütiger Worte und herzlich bedauernder Wünsche seiner Wirtsleute über sich ergehen lassen mußte.
    Er reiste die ganze Nacht durch und erwachte in einem der lieblichsten Täler des Bourbonnais, [Fußnote: Bourbonnais : Gebiet im Norden des Massif central] dessen Landschaften wie die Nebelbilder eines Traums an ihm vorbeiflogen. Die Natur breitete sich mit grausamem Liebreiz vor seinen Augen aus. Bald entrollte der Allier bis in weite Fernen sein strahlendes Silberband; dann wieder zeigten, bescheiden in einer gelbschimmernden Felsschlucht versteckt, Weiler die Spitzen ihrer Kirchtürme; bald tauchten in einem kleinen Tal hinter eintönigen Weinbergen plötzlich Mühlen auf, und überall erschienen strahlende Schlösser, an Abhängen erbaute Dörfer oder mit mächtigen Pappeln gesäumte Landstraßen; und endlich leuchtete die Loire mit ihrer weiten Wasserfläche wie ein Diamant aus goldenem Sand hervor. Verführungen ohne Ende! Die Natur, rege und lebhaft wie ein Kind, quoll schier über von der feurigen Glut des Juni und zog die erloschenen Blicke des Kranken unvermeidlich auf sich. Er ließ die Vorhänge im Wagen herunter und schlief wieder ein. Gegen Abend, als der Wagen Cosne hinter sich gelassen hatte, wurde er von fröhlicher Musik geweckt; er war mitten in ein ländliches Fest hineingeraten. Die Poststation lag nahe dem Platz. Während die Postillione die Pferde wechselten, sah er den Tänzen dieses heitren Völkchens zu, er sah hübsche, tändelnde Mädchen mit Blumen geschmückt, ausgelassene junge Männer und schließlich die runden weingeröteten Gesichter der angeheiterten alten Bauern. Kleine Kinder tollten übermütig umher, alte Frauen plauderten vergnügt; alles war einträchtig, und die Freude verschönte sogar die Kleider und die Tische, die man aufgestellt hatte. Der Platz und die Kirche boten ein Bild des Glücks; selbst die Dächer, die Fenster, die Türen des Dorfes schienen sich sonntäglich herausgeputzt zu haben. Gleich Sterbenden, denen das geringste Geräusch lästig ist, konnte Raphael weder einen Fluch noch den Wunsch unterdrücken, die Geigen möchten schweigen, all diese freudige Bewegung sich auflösen, der Lärm verstummen und dieses unverschämte Fest in alle Winde stieben. Verdrossen stieg er wieder in den Wagen. Als er noch einmal nach dem Platz zurücksah; gewahrte er, wie alle Freude verscheucht, die Bäuerinnen auf der Flucht und die Bänke verlassen waren. Auf dem Gerüst des Orchesters saß nur noch ein blinder Spielmann und entlockte seiner Klarinette ein schrilles Rondo. Diese Musik ohne Tänzer, dieser einsame Greis mit dem brummigen Gesicht, in Lumpen gehüllt, mir wirrem Haar, im Schatten einer Linde,

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