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Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Titel: Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Nürnberger
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wollen, weil es sich doch um ein Geheimnis des Glaubens handelt.
    In allen Konfessionen gibt es Christen, die überzeugt sind, dass sie keine Soldaten sein dürfen, und sie haben dafür ihre Bibelsprüche. Und es gibt andere, die es für ihre Christenpflicht halten, notfalls zu töten, wenn die Freiheit eines ganzen Volkes auf dem Spiel steht, und auch sie verweisen dafür auf heilige Sprüche. Die Todesstrafe sei durchaus mit dem christlichen Glauben vereinbar, behaupten die sehr Konservativen unter den Katholiken und Protestanten und können sich auf eine lange, bis in die Antike zurückreichende Reihe großer Kirchenlehrer berufen. Die anderen sind gegenteiliger Meinung, und auch sie verfügen über anerkannte Autoritäten. Zur Abtreibung, zur Homosexualität, zur Schwulenehe, zum Verhältnis von Kirche und Staat und zu vielen anderen Fragen haben die Christen dieser Welt starke Meinungen, aber keine Wahrheit.
    Der Glaube an Jesus macht aus der einen Hälfte der Christenheit fröhliche Weltbejaher, aus der anderen grimmige Weltverneiner. Die einen treibt ihr Glaube in die Askese, die anderen in den Genuss des Lebens, die einen ins politische Engagement, die anderen in die mystische Versenkung.
    Das katholische Polen glaubt, Gott habe alle Völker lieb, aber die Polen noch ein bisschen mehr. Das christliche Amerika hält sich für «God’s own country» und das Reich des Guten, die Orthodoxen wiederum glauben, je nach Herkunft, die Griechen, Serben, Russen, Kopten oder Slawen seien die eigentlich Erwählten unter den Völkern. In Lateinamerika sind es die Armen und Entrechteten, die sich näher bei Gott wissen. Auch das deutsche Volk hat sich – mit katastrophalem Ausgang – schon einmal für erwählt gehalten.
    Und alle pflegen ihre Feindbilder. Die Polen richten sich an den bösen Deutschen und den noch böseren Russen auf. Das orthodoxe Russland mag keine Papstbesuche. Das gläubige Amerika identifizierte zuerst den Kommunismus und dann den Islamismus als Reich des Bösen. Die orthodoxen Griechen verabscheuen die islamischen Türken. In Irland und Nordirland halten sich Katholiken und Protestanten wechselseitig für Teufel. Die katholischen Armen Lateinamerikas ziehen viel Trost aus dem Spruch, dass sich eher ein Kamel durch ein Nadelöhr zwängt als dass ein Reicher in den Himmel gelangt. Die orthodoxen Serben packt angesichts katholischer Kroaten die Mordlust, und umgekehrt, weshalb eine internationale Friedenstruppe dafür sorgen muss, dass der Lust keine Taten folgen.
    So könnte man endlos weiter aufzählen, wie vielfältig und widersprüchlich die zwei Milliarden Christen dieser Welt die Botschaft jenes Mannes verstehen oder missverstehen, auf den sie sich berufen, von dem selber dunkle und widersprüchliche Aussagen überliefert sind und dessen Biographie historisch so wenig gesichert ist, dass die Theologen diesen Mann in zwei Personen spalten: in den historischen Jesus, den Menschen, über den wir kaum etwas wissen, und in den verkündeten Christus, von dem die Evangelien und die Apostel erzählen. Seine Worte zerlegen die Theologen in echte Jesusworte, die er wirklich gesagt habe, und in unechte, die ihm von seiner Gemeinde im Licht neuer Erfahrungen und mit besten Absichten in den Mund gelegt worden seien – wobei es kaum ein Jesuswort gibt, bei dem sich alle Theologen über die Echtheit oder Unechtheit einig sind.
    Die Lage der heute lebenden zwei Milliarden Christen würde sich nicht grundsätzlich bessern, wenn ein zweites Pfingstwunder geschähe und sich alle auf die eine christliche Wahrheit einigen könnten, denn diese Wahrheit würde allein schon dadurch relativiert, dass es nach wie vor das Judentum, den Islam, den Buddhismus, Hinduismus, Taoismus und Konfuzianismus gäbe. Auch Aufklärung, Wissenschaft, Atheismus und die vielen verschiedenen Philosophien stellten die christliche Wahrheit weiterhin in Frage.
    Es wäre also weniger gewonnen durch eine christliche Einigung, als die Ökumeniker glauben. An der grundsätzlichen Situation, dass permanent alle alles in Frage stellen, würde sich nichts ändern – und eben darin liegt das Problem eines Papstes, dessen Aufgabe in dem aussichtslos erscheinenden Unterfangen besteht, inmitten des Meeres an Relativismus eine Insel der Wahrheit zu errichten und zu verteidigen. Alle Welt lebt in der Erfahrung, dass die absolute Wahrheit lautet, dass es keine absolute Wahrheit gibt oder zumindest kein Sterblicher über sie verfügt. Doch der Papst muss

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