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Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Titel: Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Nürnberger
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der Klerus. Da war es schon zu spät. Da waren viele Mitglieder für immer verloren.
    Erst nach diesem Verlust erfolgte die kirchliche Wiederentdeckung der prophetischen Sozialkritik und der urchristlichen Vergemeinschaftung des Besitzes. Die Wiederentdeckung schlug sich in einer Reihe päpstlicher Sozialenzykliken nieder, an denen die Kirche bis heute weiterschreibt, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen und bei deren Lektüre man stellenweise nicht mehr weiß, ob man einen kirchlichen Text vor sich hat oder das Kommunistische Manifest. Nur leider: Es kam alles zu spät.
    Im Februar 1997 haben die Bischöfe beider Konfessionen in Deutschland darauf reagiert, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich in unserem Land immer weiter öffnet. In einem als «Sozialwort» bezeichneten Papier forderten sie öffentlich «eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit» und wurden dafür sehr gelobt. Zu Recht. Es ist gut, dass es noch eine Macht gibt, die den Armen und Machtlosen ihre Stimme leiht und sich damit ins politische Tagesgeschäft einmischt.
    Es ist auch sehr in Ordnung, dass der Papst regelmäßig Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität anmahnt. Jedoch: Die Welt wird dadurch weder gerechter noch solidarischer, die Schere zwischen Arm und Reich schließt sich nicht, auch andere für das Überleben der Menschheit wichtige Entwicklungen – Klima, innerer und äußerer Frieden, Demographie, Bildung, der Krieg um Marktanteile – bessern sich nicht, und diese absolute Konsequenzlosigkeit kirchlicher Worte verweist auf einen gravierenden Fehler im Selbstverständnis heutiger Kirchen.
    Dieser Fehler besteht darin, dass die Kirchen ihre ureigene Aufgabe, nämlich selbst für gerechte Verhältnisse zu sorgen und eine Oase der sozialen Gerechtigkeit zu bauen, an den Staat delegiert haben, noch dazu an einen Staat, der zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtet ist. So war es nicht gedacht.
    Gott hatte sich sein Volk nicht erfunden, damit es das Geld anderer Leute einsammle und damit die Not der Armen lindere, auch nicht, damit es den Staat dafür kritisiere, dass er nicht an Gottes Sozialordnung Maß nimmt. Nicht die Welt, nicht die Heiden, nicht weltanschaulich neutrale Staaten, nicht Demokratien sollten Gottes Sozialordnung etablieren, sondern Gottes eigenes Volk sollte in seinen Gemeinden den ursprünglichen Plan realisieren, und dieser sah nicht die Linderung der Not der Ärmsten vor, sondern Wohlstand und Fülle für alle.
    Ein Land, darin Milch und Honig fließen, war Abraham versprochen, nicht ein Land voller Hartz-IV-Empfänger. Wenn Verteilung des Mangels das Ziel gewesen wäre, hätte Abraham zu Hause und hätten die Hebräer in Ägypten bleiben können. Auf Verteilung des Mangels verstehen sich die Heiden auch.
    Es war sehr anspruchsvoll, was Gott sich da von seinem Volk erwartet hatte, zu anspruchsvoll bis heute. Aber der Anspruch bleibt: Das Volk soll durch seiner eigenen Hände Arbeit und mit Gottes Hilfe in seinen Gemeinden jene Sozialordnung etablieren, die Mose am Berg Sinai empfangen hatte. Gebaut werden können solche Gemeinden nur von Glaubenden. Daran mangelt es, darum mangelt es auch an den entsprechenden Gemeinden, und deshalb geht das Sozialwort der Kirchen an ihrem eigentlichen Auftrag vorbei.
    So ist es dem wirtschaftlichen Sachverstand ein Leichtes, das Wort zu kritisieren: Nicht Umverteilung schaffe Wohlstand, sondern wirtschaftliches Wachstum. Nicht Solidaritätsappelle hülfen den Armen, sondern eine wettbewerbsfähige Wirtschaft. Nicht die Anprangerung des Reichtums ermögliche soziale Gerechtigkeit, sondern die neidlose Anerkennung des tüchtigen Unternehmers, der, motiviert durch ein hohes Einkommen, Arbeitsplätze schaffe. Arbeitsplätze und soziale Sicherheit seien nur zu haben um den Preis einer gewissen Ungleichheit. Der Schwache solle daher dem Starken dessen Wohlstand gönnen, nicht neiden.
    In jedem einzelnen Punkt hat diese Kritik recht, denn sie beschreibt, nach welcher Gesetzlichkeit die Welt da draußen funktioniert. Die Pointe des christlichen Glaubens besteht aber gerade darin, dass sich Gott ein Volk erwählt hat, damit dieses mitten in dieser Welt eine Oase errichte, in der die Gesetze der Welt ausgehebelt werden. Dort, im Volk Gottes, wird der Tüchtige und Starke nicht deshalb unternehmerisch und kreativ tätig, weil er damit einen Platz an der Sonne mit Villa, Meerblick und Jaguar erwerben kann, sondern weil er sich mit seinen Fähigkeiten von Gott in

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