Das Daemonenschiff
Erschrocken sah er sich schnell nach rechts und links um, ob auch
niemand die Worte des Nubiers gehört hatte, obwohl er wusste,
dass das nicht der Fall sein konnte. Abu Dun hatte Deutsch
gesprochen, wie immer, wenn er etwas zu sagen hatte, was
keinen anderen etwas anging, und darüber hinaus verursachte ihr
zusammengeschmolzenes Heer auf seinem raschen Marsch
genug Lärm, um jedes gesprochene Wort zu übertönen. Die
Männer hatten den Versuch, leise zu sein, schon nach ein paar
Schritten aufgegeben. Der Wald mochte tot und erfroren sein,
aber er war alles andere als still. Bei jedem Schritt zerbarsten
heruntergefallene und hart gefrorene Äste und Zweige wie
splitterndes Glas unter den Stiefeln der Männer. Vermutlich,
dachte er niedergeschlagen, konnte man sie meilenweit hören;
wortwörtlich.
Andrej sah mit einem Gefühl leiser Verärgerung, wie Abu
Duns Grinsen noch einmal deutlich breiter wurde, und rang sich
erst dann zu einem Kopfschütteln durch. Nein, natürlich wäre es
ihm nicht lieber gewesen. Sicher, Abu Dun hatte tatsächlich
gelogen, als er behauptet hatte, er wüsste nicht, was da auf sie
zukam. Er wusste es so gut wie Andrej.
Es war dasselbe unheimliche Gefühl, das sie auch auf der
Lichtung über Thures Dorf gehabt hatten; die spürbare Nähe von
etwas so durch und durch Fremdem, dass seine bloße Anwesenheit schon ausreichte, um etwas in ihnen zu erschüttern.
Allerdings war es nicht annähernd so stark gewesen; kaum mehr
als ein vorsichtiges Tasten statt dem eisigen Prankenhieb, der
ihre Seelen dort oben getroffen hatte. Und das Gefühl war
immer noch da, obwohl seit ihrem Abmarsch eine gute halbe
Stunde vergangen sein musste, in der nichts Aufregenderes
geschehen war, als dass eben nichts geschah …
Aber vielleicht war es auch gerade das, was Andrej am meisten beunruhigte.
Odin wusste, dass sie kamen. Selbst wenn der Höllenlärm, den
sie verursachten, sie nicht verriet, selbst wenn die Piraten
wirklich auf ihr Ablenkungsmanöver hereingefallen waren (was
Andrej mit jedem Moment unwahrscheinlicher vorkam) und
Abu Dun jeden Posten erwischt hatte, den sie zurückgelassen
hatten (was ihm schon wahrscheinlicher erschien), so mussten
sie spätestens die beiden Raben verraten haben.
Warum also tat er nichts, um sie aufzuhalten?
Natürlich wären Andrej auf Anhieb mindestens ein halbes
Dutzend Antworten auf diese Frage eingefallen, aber er konnte
nicht sagen, welche die am wenigsten unangenehme war.
Vermutlich keine. Also dachte er lieber erst gar nicht darüber
nach. Was immer Odin auch plante, sie würden es wahrscheinlich eher erfahren, als ihm lieb war.
»Und was genau willst du mir damit sagen, Hexenmeister?«,
knüpfte Abu Dun nach einer Weile an seine eigenen Worte an.
»Das weiß ich selbst nicht genau«, gestand Andrej. »Vielleicht
frage ich mich allmählich, was wir hier überhaupt tun.«
»Wenn ich mich richtig erinnere«, antwortete Abu Dun, »habe
ich dir eine ganz ähnliche Frage gestellt – oder war es vielleicht
wortwörtlich dieselbe? – bevor wir an Bord dieses verdammten
Schiffes gegangen sind.« Andrej warf ihm einen giftigen Blick
zu, und Abu Dun kicherte, als hätte er einen besonders gelungenen Scherz zum Besten gegeben. »Damals warst du um eine
Antwort nicht verlegen … aber ich weiß, was du meinst. Ich
verstehe auch nicht ganz, wieso wir noch am Leben sind.«
»Wahrscheinlich plant er etwas.«
»Uns umzubringen?«
»Das hätte er längst gekonnt«, widersprach Andrej. »Und nicht
erst hier. Das alles hier gefällt mir nicht. Ich habe das Gefühl,
geradewegs in eine Falle zu laufen.«
Abu Dun nickte. »Seltsam – aber mir geht es genau so …
könnte es daran liegen, dass wir geradewegs in eine Falle
marschieren?«
»Das meine ich nicht«, antwortete Andrej. »Ich bin mir nur
nicht mehr ganz sicher …« Wer diese Falle gestellt hat? Um ein
Haar hätte er die Worte laut ausgesprochen, und wahrscheinlich hätte er es sogar getan, wären sie ihm nicht selbst lächerlich
erschienen.
»Ja?«, fragte Abu Dun.
»Nichts. Es war nur ein dummer Gedanke.«
»Was manchmal deine besten sind«, erwiderte Abu Dun, zwar
immer noch breit grinsend, aber zugleich auch plötzlich wieder
ernst. »Du traust Thure nicht, habe ich recht?«
»Er sagt die Wahrheit.«
»Ich traue ihm auch nicht«, sagte Abu Dun.
»Das bedeutet gar nichts«, erwiderte Andrej. »Du traust überhaupt niemandem, außer dir selbst.«
» Mir selbst « , belehrte ihn Abu Dun
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