Das Daemonenschiff
setzte mit ungelenken Bewegungen seinen Helm ab,
und Andrej sah, dass sich die wulstige Narbe, die sein Gesicht
zu teilen versuchte, wie eine rote Linie auch über seinen Schädel
fortsetzte und in seinem Haar verschwand, wo sie schlohweiß
wurde. »Du willst wissen, ob du dich auf uns verlassen kannst.«
Nun war Andrej tatsächlich überrascht. Seine Frage hatte
keinem anderen Zweck gedient, aber wie es schien, hatte er den
alten König unterschätzt.
»Du hast Angst, dass meine Männer der Mut verlässt, wenn
wir in die Schlacht ziehen und sie Auge in Auge ihrem leibhaftigen Gott gegenüberstehen.« Er schüttelte heftig den Kopf und
verzog das vernarbte Gesicht zu einem grimmigen Lächeln. »Ich
kann dich verstehen, Andrej. Aber ich kann dich auch beruhigen. Ich bin vielleicht alt, aber ich bin noch nicht dumm, und ich
bin auch nicht taub.« Er blickte mit Spott in den Augen in die
Runde, und mehr als einer der Männer am Tisch sah rasch zu
Boden. »Die Stimmen der jungen Krieger sind sogar an mein
Ohr gedrungen. Sie sind unzufrieden. Sie hadern mit dem
Schicksal, und sie glauben schon lange nicht mehr an die Güte
und die schützende Hand Odins. Thure hat dir erzählt, wie sich
unsere Welt verwandelt hat?«
Andrej nickte zwar, warf aber einen raschen, verunsicherten
Blick zu Thure. Nein, eigentlich hatte er es nicht getan. Thure
wich seinem Blick aus.
»Früher waren wir ein stolzes Volk, Andrej Delãny«, sagte
Osrik. »Unsere Feinde haben uns gefürchtet, und unsere Kinder
konnten im Schutz unserer Speere und Schilde sicher aufwachsen. Das Meer war voller Fische, und wir brachten große
Reichtümer von unseren Kriegszügen mit nach Hause.« Damit,
dachte Andrej, meinte er wohl eher Raubzüge, aber er musste
plötzlich an das denken, was Abu Dun gesagt hatte, über die
Menschen dieser Inseln und sein Gefühl, sich in einer falschen
Zeit zu befinden. Wahrscheinlich wäre es nicht besonders klug
gewesen, den alten König jetzt auf diesen feinen Unterschied
aufmerksam zu machen. Doch er bedeutete Osrik mit einem
Nicken, weiterzusprechen.
»Niemand von uns hat diese Zeit selbst erlebt«, sagte Osrik.
Das spöttische Glitzern war längst aus seinen Augen verschwunden und hatte einer neuen Ernsthaftigkeit Platz gemacht.
»Wir kennen sie nur aus den Erzählungen der Alten. Ich weiß,
dass es üblich ist, alles, was vergangen ist, als besser in Erinnerung zu behalten und alles, was ist, schlechter zu sehen. Aber
ich glaube an diese Geschichten. Wir waren ein tapferes Volk,
das vor niemandem knien musste, und nicht betteln, damit
unsere Kinder den Winter überleben, ohne zu verhungern.«
»Was ist passiert?«, wollte Andrej wissen.
Osriks Blick verfinsterte sich. »Die Alten glauben, dass wir
uns den Unmut der Götter zugezogen haben. Aber niemand
weiß, wodurch. Wir haben stets zu ihnen gebetet. Sie haben stets
ihren Anteil an unseren Ernten und unserer Beute als Opfer
bekommen. Und doch erschien eines Tages der Nebel, und mit
ihm das Nagelfahr. Seither ist uns der Weg in unsere angestammten Fischgründe verwehrt, und viele, die die Fahrt aus
Verzweiflung oder Sorge um ihre Familien trotzdem gewagt
haben, sind nicht zurückgekehrt. Vielleicht ist es so, wie du
gesagt hast. Vielleicht hat ein falscher Gott die Stelle des
wahren eingenommen.« Er griff nach seinem Becher mit Met,
aber nicht, um daraus zu trinken, sondern nur, um ihn nachdenklich in den Fingern zu drehen und in die glitzernde Flüssigkeit
zu blicken, als könne er dort die Antwort auf seine Fragen lesen.
»Unser Volk stirbt, Andrej. Als mein Großvater über unsere
Insel herrschte, waren wir dreimal so viele. Heute sind wir nur
noch wenige, und wir sind schwach und ängstlich geworden.
Wenn eines Tages mein Enkel auf meinem Thron sitzen wird,
dann ist der Moment nicht mehr weit, an dem unser Volk ganz
verschwindet. Die jungen Männer glauben nicht mehr an die
Götter. Und ich kann es ihnen nicht einmal verübeln.«
»Nicht mehr an die falschen Götter«, fügte Thure hinzu, sehr
leise, aber in einem Ton, der Osrik in seine Richtung sehen ließ.
Abermals wandelte sich der Ausdruck in seinen Augen und als
er weitersprach, sah Andrej seine Entschlossenheit.
»Wir haben keine Angst, zu sterben, Andrej. Keiner von uns
hat das.«
»Aber ihr wollt sicher sein, dass es aus den richtigen Gründen
geschieht«, vermutete Andrej. Osrik nickte.
»Diese Entscheidung kann ich euch nicht abnehmen. Ich kann
euch meine
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