Das Daemonenschiff
»Oder sag doch einfach, dass du mich
für einen Feigling hältst.«
Björn wollte antworten, doch sein Bruder kam ihm zuvor.
»Niemand hält dich für einen Feigling, König Osrik. Im Gegenteil. Wir alle wissen, wie tapfer du bist. Die Krieger deines
Volkes sind nicht umsonst für ihren Mut und ihre Unerbittlichkeit im Kampf berühmt. Umso mehr brauchen wir euch.«
»Das ist wahr«, fügte Björn hinzu. »Du befehligst das größte
Heer. Wir brauchen deine Krieger. Ohne sie haben wir keine
Chance.«
Andrej wusste nicht, was zwischen Osrik und allen anderen
vorgefallen war, doch Männern wie dem Grauhaarigen war er
schon oft begegnet. »Es ist nicht immer gleich ein Zeichen von
Feigheit, einen Kampf zu scheuen«, sagte er deshalb, an Björn
gewandt. »Ich zum Beispiel weiß mich meiner Haut durchaus zu
wehren, wenn es sein muss, und trotzdem bin ich in meinem
Leben weit mehr Kämpfen ausgewichen, als ich geführt habe.«
Björn sah verwirrt aus, und Andrej wandte sich an Osrik. »Du
hast Bedenken?«
»Meine Männer in einen sinnlosen Tod zu schicken?« Osrik
nickte. »Ich wäre ein schlechter König, hätte ich sie nicht.«
»Dieser Kampf ist nicht sinnlos!«, fuhr Thure auf. »Worüber
haben wir die ganze Nacht geredet? Wie viele allein aus deiner
Sippe hast du an diesen falschen Gott verloren? Wie viele
Kinder sind den Weibern deines Volkes im Winter verhungert,
weil ihr nicht hinausfahren konntet, um zu fischen? Und wie
viele eurer Söhne haben es trotzdem versucht und sind nicht
zurückgekommen?«
»Zu viele«, antwortete Osrik. Einige der anderen Männer
nickten zustimmend, und ein leises Murmeln und Raunen
brandete auf, ebbte aber sofort wieder ab, als er weitersprach,
nicht mehr an Thure gewandt, sondern jetzt direkt an Andrej.
»Du scheinst mir nicht nur ein tapferer Mann zu sein, Andrej,
sondern auch ein kluger. Björn hier und sein Bruder meinen, wir
sollen gegen die falschen Götter in den Krieg ziehen. Meinst du
das auch?«
»Ich habe keine Meinung dazu«, antwortete Andrej. Björn riss
die Augen auf, und auch Thure sah erschrocken aus. Andrej
wiegte den Kopf. »Es ist nicht mein Krieg. Und es sind nicht
meine Götter«, fuhr er fort. »Thure und sein Bruder haben uns
um Hilfe gebeten, und wir haben sie ihnen zugesagt, falls sie sie
nötig haben. Aber ich kann euch nicht sagen, ob ihr einen Krieg
beginnen sollt oder nicht.«
Ohne hinzusehen, entging ihm Björns und Thures Reaktion
auf seine Worte keineswegs. Als er ihn gebeten hatte, ihn zu
begleiten, hatte Thure sich eine andere Vorstellung erhofft.
Osrik jedoch schien angenehm überrascht.
»Ich habe mich nicht in dir getäuscht, Andrej. Du bist ein
kluger Mann.«
»Das mag sein«, antwortete Andrej. Ob Osrik ein kluger Mann
war oder nicht, konnte er nicht beurteilen, aber er war ganz
gewiss kein Mann, der Bescheidenheit zu würdigen wusste. »Da
wo Abu Dun und ich herkommen, leben Dummköpfe nicht sehr
lange.«
»Hier im Allgemeinen auch nicht«, sagte Osrik. »Aber auch
kluge Männer leben nicht lange, wenn sie unnötige Risiken
eingehen.«
»Was ja auch nicht unbedingt ein Zeichen von Klugheit wäre«,
sagte Andrej.
Osrik lächelte, aber Björn reagierte ungehalten. »Haben wir
uns zusammengefunden, um geschliffene Worte auszutauschen?«, fragte er.
Osrik beachtete ihn so wenig wie Andrej. »Thure sagt, ihr
könnt sie besiegen?«, fragte er.
»Das können wir«, antwortete Andrej. »Die Frage ist, sollen
wir es?« Er hob die Hand in Björns Richtung, als er spürte, dass
er auffahren wollte. »Es ist wahr. Ich bin eurem sogenannten
Gott begegnet. Er ist kein Gott. Aber er ist gefährlich und
mächtig. Manchem von euch würde er durchaus wie ein Gott
vorkommen. Vielleicht ist der Unterschied nicht so groß, wie du
glaubst, Osrik.«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte Osrik.
»Vielleicht ist dieser Odin ein falscher Gott«, antwortete
Andrej. Vielleicht gibt es keine richtigen Götter. »Aber spielt es
eine Rolle, ob ihr einen echten oder falschen Gott anbetet?
Soweit ich weiß, hat er euch nichts getan … bis gestern Abend
wenigstens.«
»Und was hätte er je für uns getan?«, fragte Björn heftig.
»Dasselbe, was eure richtigen Götter für euch getan haben?«,
vermutete Andrej. »Nichts?«
Björn sah bestürzt aus. Dann verdunkelte sich sein Gesicht vor
Zorn. »Ich verstehe nicht ganz, Andrej –«, begann er aufgebracht.
»Aber ich«, unterbrach ihn Osrik. Er hob umständlich die
Hände und
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