Das Dämonentor
Statuen den Vorübergehenden anstarrten. Keiner konnte sich eines gewissen Schauders erwehren.
»Was haben Novizen hier zu suchen?« herrschte der näherkommende Tempeldiener Tobar an. »Du weißt, daß es ihnen verboten ist, die Erstarrten anzusehen.«
Tobar wagte nicht aufzublicken, um sich durch das Zucken in seinem Gesicht nicht zu verraten.
»Tattaglin selbst hat uns hierher befohlen«, antwortete er leise.
»Tattaglin?«
Irgendwie kannte Tobar diese Stimme. Selbst lange Jahre können einen vertrauten Klang nicht völlig aus dem Gedächtnis tilgen.
»Laton«, sagte er leise.
Der Diener, der höchstens zwei Schritt hinter ihm stand, atmete hörbar auf.
»Du kennst meinen Namen?«
»Noch mehr, wenn du es hören willst.« Dem Tatasen fiel ein wahrer Stein vom Herzen.
»Wer bist du?«
Tobar erhob sich langsam und wandte sich um.
»Das… ist unmöglich.« Laton starrte ihn an wie eine geisterhafte Erscheinung. »Tobar ist tot. Jeder von uns weiß das, nachdem er…« Der Tempeldiener biß sich auf die Unterlippe.
Tobar verstand, daß ihm die Nähe der Versteinerten unangenehm war. Sein Blick sagte mindestens ebenso viel wie Worte.
Gefolgt von den Nykeriern gingen sie langsam weiter und blieben schließlich zwischen den Säulen eines Verbindungsgangs stehen, die ein weit geschwungenes Kuppeldach trugen.
»Wir glaubten dich tot, nachdem du den Blick durch das Dämonentor werfen wolltest und nie zurückkehrtest.«
Tobar näherte seinen Mund dem Ohr des anderen, daß sein Flüstern schon eine Handbreit entfernt nicht mehr zu vernehmen war.
»Gibt es noch Diener, die im Verborgenen gegen Catrox agieren?«
Laton nickte eifrig. »Wir sind mehr geworden seit damals.«
»Dann sage ihnen, daß ich weit schlimmere Dinge sah, als ich je geglaubt hätte. Niemand kann wissen, daß aus Tatasen schreckliche Dämonenkrieger geschmiedet werden, deren unüberschaubare Heerscharen jenseits des Tores nur darauf warten, über Tata und die übrige Welt herzufallen. Catrox muß vernichtet werden, oder wir alle werden uns noch wünschen, niemals geboren worden zu sein.«
»Ist es so schlimm?«
Tobar verzog sein Gesicht zur abwürfigen Grimasse.
»Jeder von euch steht schon viel zu tief in den Diensten des Bösen – viele sicher ungewollt, aber was spielt das für eine Rolle. Nicht nur unter die Geschichte von Tata wird ein blutiger Schlußstrich gesetzt werden…«
»Du hast also schon damals die Wahrheit geahnt.«
»Leider nicht in ihrem wirklichen Ausmaß, sonst hätte ich alles darangesetzt, unser Volk gegen Catrox in den Kampf zu führen.«
»Und heute?« machte Laton verblüfft. »Besitzt du nicht mehr den Mut oder die Kraft dazu?«
Tobar schwieg. Doch in seinen Augen lag ein unauslöschbares Feuer verborgen. Der Diener verstand, daß er nicht darüber sprechen wollte, und sein Blick schweifte zu den drei Fremden ab, die nicht nur hart und unnachgiebig auch gegen sich selbst wirkten, sondern ebenso zu allem entschlossen.
*
»Sieht er nicht aus wie ein Besessener?« stichelte Aeda.
Laton hatte Tobar ein Priestergewand besorgt, und nur die Götter mochten wissen, woher. Daß sie damit unbehelligt durch den Tempel kamen, war ihnen schon in der ersten Stunde klargeworden. Sie begegneten vielen Priestern, aber keiner störte sich mehr daran, daß die drei Nykerier nach wie vor Novizenkleidung trugen.
»Es ist eben doch gut, Freunde zu haben«, erwiderte Tobar spöttisch. »Allerdings muß ich eingestehen, daß mir solch strenge Regeln fremd waren.«
Keine zehnmal fünfzig Mannslängen trennten sie noch von dem Dämonentor, das düster und drohend die steile Felswand durchbrach, gleich der Pforte zu einer anderen Welt. Die unablässig aufsteigenden Nebel wirkten wie etwas Lebendiges. Erschaudernd verhielten die Nykerier ihre Schritte.
»Geht weiter!« raunte Tobar ihnen zu. »Wir dürfen trotz allem nicht auffallen.«
Aber schon wenig später sahen sie sich unvermittelt mehreren Priestern gegenüber, deren Gesichter gläsern wirkten. Dämonisierte. Sadagars Rechte fuhr unter seinen Umhang und tastete nach einem Messer.
Mindestens fünfzig Krieger standen hinter den Nykeriern. In diese Richtung konnte es kein Durchkommen geben. Und die Priester sahen auch nicht so aus, als würden sie von sich aus den Weg freigeben.
»Wir sind umzingelt. Das kann kein Zufall sein.«
»Laton?«
»Er hat uns bestimmt nicht verraten«, zischte Tobar.
Ohne länger zu zögern, riß Sadagar eines seiner Messer unter dem Umhang
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