Verbotene Begierde (German Edition)
Kapitel 1
»Exitus.«
Die katastrophale Feststellung, begleitet von den schrillen Warntönen der Geräte, verfolgte Vanessa auf dem Weg aus dem OP und ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Um die zerfetzte Halsschlagader des Mannes zu versorgen, hatten ihre Kollegen und sie in einer Notoperation ihr Bestes gegeben, dennoch war das Schlimmste eingetreten.
Es war das erste Mal, dass sie einen Patienten verlor. Ihre Professoren hatten versucht, sie auf diesen Tag vorzubereiten, aber ihr in der Theorie erworbener Panzer hielt der Realität nicht stand.
Exitus. Ein furchtbares Wort, eine schreckliche Konsequenz, hart und endgültig. Vanessa wischte sich mit dem Ärmel die verschwitzten Haarsträhnen aus der Stirn, atmete durch und zwang sich, die Schrecken von Kummer und Tod aus dem Bewusstsein zu verbannen, doch es wollte ihr auch während des Duschens und Umziehens nicht gelingen.
Bedrückt schritt sie auf die Reihe der Spinde zu, den Blick starr auf den anthrazitgrauen Fußboden mit seinen unregelmäßig verteilten Flecken gerichtet, als würde ihr das Labyrinth der im Neonlicht glitzernden Kleckse einen Weg aus dem Gefühlschaos weisen. Sie fühlte sich ausgelaugt und müde, doch sie konnte noch nicht nach Hause gehen. In einer Dreiviertelstunde stand eine Betriebsratsversammlung an, sie hatte seit dem Morgen nichts gegessen und keine Lust, sich daheim eine einsame Mahlzeit zu bereiten. Vanessa schloss das Fach auf, ergriff ihre Tasche und machte sich auf den Weg zur Kantine, den Flur entlang bis in das lichtdurchflutete Atrium, in das die tief stehende Dezembersonne unbeeindruckt ihre Strahlen an Tonnen von Stahl vorbei durch eine ebensolche Menge Glas aussandte.
Sie betrat den Aufzug. Der strenge Geruch nach Desinfektionsmitteln war hier nicht so intensiv, dafür durchzogen die Ausdünstungen dutzender Besucher die Krankenhausluft – Parfüm, Schweiß, Alkohol, Knoblauch, Zitrusduft.
Ein verlockendes Aroma von Kiefern und anderen würzigen Hölzern stieg ihr in die Nase. Verlockend und erotisch. Sie hob den Blick und suchte nach der Quelle. Die Fahrstuhltüren öffneten sich, Leute strömten hinaus und herein und der anziehende Duft verflüchtigte sich so schnell wie das angenehme Gefühl. Der Aufzug trug sie mit einer Gruppe schweigender Menschen in die Cafeteria.
Vanessa hoffte, in der Masse der Kollegen und Kolleginnen unterzugehen und unsichtbar zu werden. Sie wollte mit niemandem reden und erst recht nicht Brian Solengo begegnen, der ihr vor vier Monaten aus heiterem Himmel den Laufpass gegeben hatte. Er arbeitete in der Verwaltung des Hospitals, in dem sie die letzten Wochen der praktischen Ausbildung ihres Studiums absolvierte. Seit der Schule und während des Medizinstudiums am King’s College in London waren sie ein Paar gewesen. Acht lange Jahre, ein Drittel ihres Lebens.
Vanessa hielt den Kopf gesenkt und steuerte zwischen den Tischreihen auf den Personalbereich zu. Als sie eintrat, hütete sie sich, aufzublicken und nach ihm Ausschau zu halten. Ihr Ex saß wahrscheinlich von einem halben Dutzend Verehrerinnen umringt an einem Tisch, an dem er die Aufmerksamkeit aller weiblichen Kantinenbesucher auf sich zog. Es war unerträglich, ihm täglich zu begegnen, seitdem er ihre Gefühle in Grund und Boden gestampft hatte. Das tat er noch immer, indem er sie tagtäglich mit seiner schamlosen Flirterei brüskierte.
An einer der Glastheken ließ sie den Blick über die appetitlich angerichteten Speisen streifen und entschied sich für eine kleine Portion Spaghetti Bolognese.
»Hallo Doktor Carter. Gehen Sie in den verdienten Feierabend?«
Doktor Donahue, der Chefarzt der Inneren, stand neben ihr. Sie kannte den Kollegen vom Namen her, hatte jedoch nie persönlich mit ihm zu tun gehabt und wunderte sich, dass er sie ansprach. Er hatte ein sympathisches Äußeres, als Adonis war er nicht gerade zu bezeichnen, doch das kantige Kinn gab seinem Gesicht etwas Interessantes und der Rest wirkte ganz passabel. Ihr huschten ein paar Gerüchte durch den Kopf, die sie dem Getuschel einiger Krankenschwestern entnommen hatte. Donahue hatte vor einigen Jahren seine Frau auf furchtbare Weise verloren. Angeblich war sie bei einem Brand ums Leben gekommen und ihre Leiche konnte nur anhand des Gebisses identifiziert werden.
»Doktor Donahue, wenn ich recht informiert bin?«
»Habe die Ehre.« Er deutete eine Verbeugung an. »Darf ich Ihnen beim Essen Gesellschaft leisten?«
Vanessa war hin- und
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