Das Dampfhaus
Nach einer scharfen Wendung des Engpasses, der hier einen spitzen Winkel bildet, lag vor ihnen das durch die Meisterwerke buddhistischer Bauwerke geschmückte Thal. An den Mauern jener Tempel, welche mit Säulen, Rosetten, Arabesken und Verandas reich verziert, durch Kolossalfiguren phantastischer Thiergestalten belebt und von dunklen Zellen durchbrochen sind, in denen früher die Priester als Wächter der geheiligten Räume wohnten, kann der Künstler noch heute einzelne Fresken bewundern, die noch ganz wie frisch gemalt erscheinen und königliche Ceremonien, religiöse Aufzüge und Schlachten, oder alle Waffen jener Periode darstellen, wie sie in dem reichen Indien während der ersten Zeit der christlichen Zeitrechnung gebräuchlich waren.
Nana Sahib kannte alle Geheimnisse dieser mysteriösen Hypogäen. Mehr als einmal hatte er sich mit seinen Gefährten, wenn ihm die königlichen Truppen zu dicht auf der Ferse waren, während der Unglückstage des Aufstandes dahin geflüchtet. Die unterirdischen Gänge, welche jene verbanden, die engen, aus der Quarzmasse des Berges gehauenen Tunnels, die winkeligen Wege, welche sich in allen Richtungen kreuzten, die tausend Verzweigungen dieses Labyrinths, deren Entwirrung auch die Geduldigsten ermüden mußte – er war mit Allem vertraut. Er konnte sich darin nicht verirren, selbst wenn keine Fackel die dunkle Tiefe erleuchtete.
Nana ging trotz der schwarzen Nacht mit voller Sicherheit gerade auf eine der minder bedeutenden Höhlen der Gruppe zu. Den Eingang zu derselben verdeckte ein Vorhang von dichtem Gezweig und ein Haufen großer Steine, den früher eine Erderschütterung hierhergeworfen zu haben schien zwischen das Gesträuch des Bodens und die in Stein gehauenen Pflanzenformen des Felsens.
Ein leises Scharren mit dem Fingernagel an der Wand genügte, um die Gegenwart des Nabab an der Oeffnung der Höhle anzumelden. Einige Hinduköpfe erschienen sofort zwischen den Zweigen, dann zehn, später zwanzig andere und bald bildeten die Leute, welche schlangengleich durch und über das Gestein krochen, eine Truppe von etwa vierzig wohlbewaffneten Männern.
»Vorwärts!« befahl Nana Sahib.
Ohne eine Erklärung zu verlangen und ohne zu wissen, wohin er sie führte, folgten die treuen Kampfgenossen dem Nabab, bereit, jeden Augenblick für ihn in den Tod zu gehen. Sie waren zwar zu Fuß, ihre Beine schienen jedoch an Schnelligkeit mit denen der Pferde wetteifern zu können.
Die kleine Truppe wandte sich der schmalen Straße zu, die neben dem Thale hinlief, folgte derselben nach Norden und überstieg den Kamm der Berge. Eine Stunde später hatten sie die Straße von Kandeisch erreicht, die sich in den Schluchten der Sautpourra-Berge verliert.
Die nach Nagpore führende Zweigstrecke der Eisenbahn von Bombay nach Allahabad und die Hauptstrecke selbst, die nach Nordosten verläuft, wurden mit Tagesanbruch überschritten.
Eben sauste der Zug von Calcutta in größter Schnelligkeit dahin, entsandte weiße Dampfwirbel in die prächtigen Banianen der Straße und erschreckte durch sein Gerassel die wilden Thiere in den Dschungeln.
Der Nabab hatte sein Pferd angehalten und rief mit lauter Stimme, die Hand gegen den davoneilenden Zug ausstreckend:
»Geh’ und sage dem Vicekönig von Indien, daß Nana Sahib noch immer unter den Lebenden wandelt, und daß er diese Bahn, das verfluchte Werk ihrer Hand, noch mit dem Blute der Eroberer überschwemmen wird!«
Fünftes Capitel.
Der Stahlriese.
Ich habe nie ein größeres Erstaunen gesehen, als das der auf der Landstraße von Calcutta nach Chandernagor am Morgen des 6. Mai befindlichen Leute, die, Männer, Frauen und Kinder. Hindus so gut wie Engländer, demselben den zweifellosesten Ausdruck gaben. In der That schien diese starre Verwunderung nicht mehr als natürlich. Mit Sonnenaufgang verließ nämlich eine der letzten Vorstädte der Hauptstadt Indiens ein fremdartiges Fuhrwerk, wenn dieser Name überhaupt noch für den sonderbaren Apparat, der sich längs des Hougly-Ufers hin bewegte, zulässig ist. An der Spitze und dem Anscheine nach als einzig bewegende Kraft des kleinen Zuges schritt ruhig und geheimnißvoll ein riesiger, etwa zwanzig Fuß hoher, dreißig Fuß langer und entsprechend breiter Elephant. Sein Rüssel war halb zurückgebogen, wie ein ungeheures Füllhorn, mit dem spitzen Ende in der Luft. Die über und über vergoldeten Zähne ragten, zwei drohenden Sicheln gleich, aus der gewaltigen Kinnlade hervor. Ueber dem
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