Das Dampfhaus
vielen, von der Felsenmasse ausgesparten Säulen ruht. Sie stellten aus dem Monolithen mit einem Worte einen Tempel her, der im eigentlichen Sinne des Wortes nicht »gebaut« wurde, einen in der ganzen Welt einzig dastehenden Tempel, der sich kühn mit den wunderbarsten Bauwerken Indiens messen kann und selbst den Vergleich mit den Hypogäen des alten Egyptens aushält.
Schon sieht man, daß der Zahn der Zeit an diesem jetzt gänzlich verlassenen Tempel genagt. Er zerfällt an einzelnen Theilen. Seine Basreliefs verwittern, wie die Felswand, aus der sie geschaffen wurden. Er hat vielleicht noch tausend Jahre Leben zu erwarten. Was aber das erste Kindesalter der Werke der Natur zu nennen ist, das ist bei Menschenwerken schon das der Hinfälligkeit. Im linken unteren Theile waren mehrere breite Sprünge entstanden, und durch eine dieser Oeffnungen, die der Rücken eines Elephanten zur Hälfte verdeckte, glitt Nana Sahib hinein, ohne daß ihn Jemand wahrnahm.
Der Sprung führte im Inneren nach einem langen engen Gange, der quer unter dem Grunde hinlief, und sich unter der »Cella« des Tempels tiefer hinabwendete. Hier erweiterte er sich zu einer Art Krypte, oder richtiger zu einer, jetzt übrigens trockenen Cisterne, in der sich sonst Regenwasser ansammelte.
Als Nana in den Gang gelangt war, ließ er einen gewissen Pfiff ertönen, dem ein ganz ähnliches Pfeifen antwortete. Es war das kein Echo. In der Dunkelheit glänzte ein einzelnes Licht auf.
Gleichzeitig erschien ein Hindu mit einer kleinen Laterne in der Hand.
»Kein Licht! rief Nana.
– Bist Du es, Dandou Pant?
– Ja, Bruder!
– Nun, und…?
– Erst schaffe mir zu essen, antwortete Nana, wir plaudern später. Doch zum Reden wie zum Essen brauche ich keine Beleuchtung. Fasse meine Hand und führe mich!«
Der Hindu ergriff Nana’s Hand, leitete ihn nach dem Hintergrunde der Höhle und half ihm, sich auf einem Lager von trockenen Gräsern auszustrecken, das er eben verlassen hatte. Das Pfeifen des Fakirs mochte seinen letzten Schlummer unterbrochen haben.
Dieser Mann, der es offenbar sehr gewöhnt war, sich im Finstern zu bewegen, hatte bald etwas Mundvorrath an Brot nebst einer Art Pastete von, »Mourghis« mit dem in Indien so gewöhnlichen Hühnerfleisch, nebst einer Kürbisflasche, die eine halbe Pinte jenes starken, unter dem Namen »Arak« bekannten Getränkes enthielt, gefunden, das man durch Destillation des Saftes der Cocospalme gewinnt.
Nana aß und trank, ohne ein Wort zu reden. Er starb vor Hunger und Erschöpfung. Seine ganze Lebenskraft lag jetzt in den Augen, die im Dunkeln wie die des Tigers leuchteten. Regungslos harrte der Hindu, bis es dem Nabab belieben würde, zu sprechen.
Dieser Mann war Balao Rao, der eigene Bruder Nana Sahib’s.
Balao Rao, um kaum ein Jahr älter als Dandou Pant, glich diesem körperlich bis zum Verwechseln. Moralisch war er der ganze Nana Sahib, mit demselben Hasse gegen die Engländer, derselben Arglist seiner Anschläge, derselben Wildheit in der Ausführung, eine Seele in zwei Leibern. Während des ganzen Aufstandes waren die Beiden unzertrennlich gewesen; nach dessen Niederwerfung hatte dasselbe Lager an der Grenze von Nepal ihnen Zuflucht gewährt. Jetzt verband sie der nämliche Gedanke, den Kampf wieder aufzunehmen, zu dem sie gleichmäßig bereit waren.
Als Nana sich durch die hastig verzehrte Mahlzeit erquickt und wieder Kräfte gesammelt hatte, blieb er noch eine Zeit lang mit auf die Hand gestütztem Kopf sitzen. In der Meinung, daß er einige Stunden werde der Ruhe pflegen wollen, verhielt sich Balao Rao noch immer schweigend.
Da erhob Dandou Pant das Haupt, ergriff des Bruders Hand und begann mit dumpfer Stimme:
»Mein Erscheinen in der Präsidentschaft Bombay ist dorthin gemeldet worden. Der Gouverneur der Präsidentschaft hat einen Preis auf meinen Kopf gesetzt. Zweitausend Pfund sind Demjenigen zugesichert, der Nana Sahib der Behörde ausliefert!
– Dandou Pant! rief Balao Rao, Dein Kopf ist mehr werth! Das wäre ja kaum ein Preis für den meinigen, und vor Ablauf dreier Monate würden sie sich glücklich schätzen, Beide für zwanzigtausend Pfund in ihrer Gewalt zu haben.
– Ja wohl, antwortete Nana, in drei Monaten, am 23. Juni, ist der Jahrestag jener Schlacht von Plassey, deren hundertster Jahrestag, im Jahre 1857, das Ende der englischen Zwingherrschaft und die Befreiung der Kinder der Sonne erblicken sollte!
– Was 1857 nicht glückte, Dandou Pant, kann und muß zehn Jahre
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