Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.
Andrea Camilleri
Eine Sache der Ehre
Zwei wahre Geschichten
Aus dem Italienischen von Monika Lustig
Piper München Zürich
Die Originalausgabe von »Eine Sache der Ehre« erschien
1993 unter dem Titel »La bolla di componenda«, »Das vergessene Massaker« erschien 1984 unter dem Titel »La strage dimenticata«; beide bei Sellerio in Palermo. Von Andrea Camilleri liegen bei Piper außerdem vor:
Die sizilianische Oper (Serie Piper 3440)
Jagdsaison (Serie Piper 7013)
Das launische Eiland (Piper Original 7020)
Hahn im Korb (Piper Original 7026)
ISBN 3-492-04422-0
© 1984 Sellerio editore, Palermo
© 1993 Sellerio editore, Palermo
© der deutschsprachigen Ausgabe:
Piper Verlag GmbH, München 2002
Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany
www.piper.de
Der 20jährige Andrea Camilleri ist auf dem Weg nach Palermo, als er von drei finster aussehenden, mit Schrotflinten bewaffneten Männern angehalten wird. »Was wollt ihr heute?« fragt Camilleris Begleiter, Don Vicinzino. »Zwei Steigen Meerbarben, zwei von den Seezungen und zwei von den Zwergkraken«, erwidert einer der drei. Ohne Widerspruch händigt Don Vicinzino die Fische aus. Als man die beiden wieder ziehen läßt und er Camilleris entsetztes Gesicht sieht, lacht er: »Das waren der Bandit Giuliano und seine Leute. Ich gebe ihnen den Fisch, und sie garantieren mir eine sichere Reise.« Eine Abmachung unter Ehrenmännern, sozusagen. In Camilleris Buch über Sizilianer und deren etwas unorthodoxe Methoden wimmelt es von solchen Tauschgeschäften: Richter und Räuber, Politiker und Mafiosi, Sünder und Priester – in Sizilien findet jeder irgendwie irgendwann zu einem Kompromiß. Selbst mit Gott läßt sich verhandeln…
Mit dem unwiderstehlichen Sprachwitz, der ihn in ganz Europa so berühmt gemacht hat, präsentiert der große sizilianische Autor dem Leser ein Feuerwerk an bunten Gestalten und deftigen Situationen.
E INE S ACHE DER E HRE
Für Andreina, Elisabetta, Mariolina –
damit sie besser verstehen,
was ich meine
1.
» Travagliari« – oder besser noch » travagghiari« – bedeutet auf sizilianisch einfach nur arbeiten; es wird dabei nicht unterschieden zwischen körperlicher Schwerarbeit, bei der man sich das Kreuz ausrenkt, oder geistiger Arbeit, die möglicherweise sogar Spaß macht. Im Italienischen ist die Sache grundlegend anders: Da impliziert travagliare in jedem Fall einen großen Kräfteaufwand, eine Riesenanstrengung, Weh und Leid; in der Tat sind mit travaglio die Geburtswehen gemeint, und in der gehobeneren Sprache spricht man von travaglio dell’anima, Seelenleid.
Über dreißig Jahre habe ich als Regisseur und Produzent von Schauspielen, zuerst in sizilianischem Dialekt, dann mehr und mehr auf italienisch, bei der Staatlichen Italienischen Rundfunk- und Fernsehanstalt gearbeitet. Eines schönen Tages, lang ist’s her, wurde ich gebeten, die Regie einer sechsteiligen Fernsehreportage mit dem Titel Familienporträt zu übernehmen. Das Leben einer Reihe von Familien sollte untersucht werden, um damit einen Querschnitt durch das Italien jener Zeit zu ziehen – angefangen bei der Familie eines Arbeitslosen bis zu der eines bekannten Managers. Meine allererste Reaktion war abzulehnen; als Ausrede hätte ich mit Leichtigkeit anführen können, daß ich als Schauspielregisseur (heute würde man sagen: ein Regisseur der Fiction) unter Vertrag stand und diese Reportage mit Sicherheit kein Schauspiel war. Aber das wäre nur ein Vorwand gewesen. Der wahre Grund für meine ablehnende Reaktion war ein anderer und nicht ganz einfach zu erklären.
Heute bin ich sehr wohl in der Lage, das klarzustellen. Nachdem ich mein ganzes Leben damit zugebracht hatte, die Leute mit Hilfe der Illusion comique zu täuschen, hatte ich einfach keine Lust, sie mit der illusion sociologique hinters Licht zu führen. Es bedurfte gewiß weder eines großen Genies noch eines besonders scharfen Verstands, um zu begreifen, wohin die ganze Geschichte führen würde: Im Anschluß an jede einzelne Sendung würde es eine Riesendiskussion geben, und Scharen von Politikern, Soziologen, Pfaffen, Fachleuten, Statistikexperten, Technikern, Psychologen und was es sonst noch alles gibt, würden schleunigst vor Gott und der Welt verkünden, daß es sich – vielleicht abgesehen von einem winzigen Schönheitsfleck, der purer Nachlässigkeit anzulasten ist – nirgendwo besser als in unserem schönen Land leben läßt.
Ich änderte
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