Das Dante-Ritual: Thriller ***Weihnachtsaktion*** (German Edition)
autokratisches Gebilde, das den Idealstaat, verkörpert durch die geistige Elite, als Erziehungsanstalt der menschlichen Gesellschaft zu höchster sittlicher Tugend verstand und dem niederen Volk dabei jegliches Mitspracherecht verwehrte. In meinen Ohren klang das nicht gerade nach Demokratie – „Fascho-Dreck“, waren Kevins Worte dazu -, und ich konnte mir einfach nicht erklären, wie Frank an diesen Verein geraten war.
Angeekelt und doch irgendwie fasziniert, studierte ich die hierarchische Struktur der Organisation. Die Geschicke der Bruderschaft wurden von einem Großmeister gelenkt („Wie originell“, sagte Kevin), dem ein Stellvertreter und ein sogenannter „Rat der Wächter“ zur Seite standen. Der Rest des Ordens war in abgestuften Rängen angeordnet, die mit den Adepten endeten – den ärmsten Säuen im Stall, wenn man Franks Beschreibung der Aufnahmeprüfung ernst nehmen konnte.
Seit ihrer Gründung rekrutierte die Bruderschaft in jedem Semester fünf Nachwuchskräfte – in der Regel Jura-, Medizin- und Philosophiestudenten -, was bedeutete, dass sich die Gesamtzahl der Mitglieder inzwischen auf mehr als vierhundert belaufen musste. Legte man eine Studiendauer von durchschnittlich zehn Semestern zugrunde, so verbargen sich jederzeit rund fünfzig Brüder in der anonymen Masse ihrer Kommilitonen.
Die Frage, welch gewichtige Positionen die Brüder der ersten Generation inzwischen bekleiden mochten, bereitete mir eine Gänsehaut.
Michael Radebrecht, genannt Micky, zeichnete sich für den Internetauftritt des Geheimbunds verantwortlich. Zum Dank hatte man ihm nicht nur ein üppiges Honorar versprochen, sondern auch – wohl um seine Verschwiegenheit zu besiegeln – eine Mitgliedschaft im Club. Und genau das war der Anfang vom Ende gewesen. In Franks Aufzeichnungen wurde das Dante-Ritual, der Initiationsritus der Bruderschaft, detailliert beschrieben. Er findet in einem fensterlosen Raum statt, der „Inferno“ genannt wird, und symbolisiert eine Art Läuterungsprozess, bei dem sich der Adept unbekleidet in einen offenen Sarg legen und den Brüdern, die ihn in einer Prozession umkreisen, seine intimsten Wünsche und Geheimnisse schildern muss. Ziemlich abgedreht, wie ich fand, aber eigentlich doch nur harmloser Mummenschanz.
Kevin war da ganz anderer Meinung.
„Was hast du eigentlich gemeint, als du gesagt hast, dass die Brüder die Regeln verschärft haben?“, fragte ich.
„Stoff, natürlich!“
„Bist du dir da sicher?“
„Und ob ich mir da sicher bin, Alter! Ich hab Micky ein paar Mal in der Klapse besucht und hätte jedes Mal heulen können. Ich weiß nicht, was die ihm reingepumpt haben, aber mit Sicherheit waren da echte Hammerdrogen im Spiel, Mann. Du musst dich nur mal eine halbe Stunde an sein Bett setzen, Philiboy, dann weißt du, was ich meine. Der erkennt niemanden mehr, nicht mal seine Eltern. Manchmal schießt er von einer Sekunde auf die andere in die Höhe, wippt mit dem Oberkörper vor und zurück und murmelt total wirres Zeug daher. Kevin wippte zur Verdeutlichung selbst mit dem Oberkörper. „Meine Beine! … Was habt ihr mit meinen Beinen gemacht? … Hört auf! … Stellt das ab!“ Er schüttelte sich. „Ich sag dir, Alter, da läuft es dir eiskalt den Rücken runter. Muss die reinste Psychofolter gewesen sein.“
„Wo hat man ihn gefunden?“
„In einem Waldstück zwischen Münster und Telgte. Die Arschlöcher haben ihn entsorgt wie einen Müllsack.“
„Wie konnten die denn ungeschoren davonkommen? Das gibt´s doch gar nicht.“
„Hallo? McFly?“ Kevin klopfte mir mit gekrümmtem Zeigefinger gegen die Stirn. „Jemand zu Hause? Die sind doch nicht dämlich, Mann. Glaubst du ernsthaft, dass jemand außerhalb der Bruderschaft weiß, wo die ihr Refugium haben? Wenn die was von dir wollen, kommen die zu dir – nicht umgekehrt. Micky hat mir ein paar Tage vorher erzählt, wie der Deal läuft: Um zwei Uhr nachts an der Danziger Freiheit, Warendorfer Straße Ecke Schiffahrter Damm, auf einen schwarzen Mercedes Sprinter warten, Sack über den Kopf und Schnauze halten. Selbst wenn Micky drei gerade Sätze formulieren könnte, wäre er den Bullen keine Hilfe. Hast du dich gar nicht gewundert, dass dieser Rensing meinen Namen kannte? Er war derjenige, der in dem Fall die Ermittlungen geleitet hat. Ich hab mir damals den Mund fusselig geredet, dass diese Bruderschaft für Mickys Zustand verantwortlich ist – und soll ich dir mal sagen, was dieser
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