Das Darwin-Virus
hat uns beiden vertraut.«
»Ihnen vertraut er mehr, glaube ich«, sagte Dicken, und sein Blick schweifte ab. »Und das hat Ihr Urteil beeinflusst?«
»Hat es Ihres beeinflusst?«, brauste Dicken auf. »Ich kann nicht mal pinkeln gehen, ohne dass irgendjemand irgendjemand anderem berichtet, wie lange ich auf dem Klo war. Und Sie, Sie haben Mitch mit in Ihre Wohnung genommen.«
Kaye drängte sich dicht an ihn heran. »Augustine hat Ihnen erzählt, dass ich mit Mitch geschlafen habe?«
Aber Dicken ließ sich nicht bedrängen. Er stieß sie sanft zurück und trat einen Schritt zur Seite. »Ich finde es genauso blöd wie alle anderen, aber es muss nun einmal sein.«
»Wer sagt das? Augustine?«
»Der hat sich auch die Finger verbrannt. Wir stecken in einer Krise. Verdammt noch mal, Kaye, das sollte doch mittlerweile jedem klar sein.«
»Ich habe nie behauptet, ich wäre eine Heilige. Als Sie mich da reingezogen haben, habe ich darauf gesetzt, dass Sie mich nicht im Stich lassen.«
Dicken senkte den Kopf und blickte erst zur einen, dann zur anderen Seite. Er war hin- und hergerissen zwischen Trübsal und Wut. »Ich dachte, Sie könnten eine Partnerin sein.«
»Was für eine Partnerin, Christopher?«
»Jemand, der … mich unterstützt. Eine Geistesverwandte.«
»Eine Geliebte?«
Einen Augenblick lang nahm Dickens Gesicht den Ausdruck eines kleinen Jungen an, der eine niederschmetternde Neuigkeit erfährt. Er sah Kaye voller Sehnsucht und Traurigkeit an. Vor Erschöpfung konnte er kaum noch aufrecht stehen.
Kaye hielt inne und überlegte. Sie hatte ihm keinerlei Hoffnungen gemacht, und sich selbst hatte sie nie für eine atemberaubende Schönheit gehalten, deren Reize für die Männer unwiderstehlich waren. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Mann so weitreichende Gefühle für sie hegte.
»Sie haben mir nie gesagt, dass Sie etwas anderes empfinden als Neugier«, sagte sie.
»Ich handle nie schnell genug, und ich sage nie, was ich wirklich meine«, erwiderte Dicken. »Ich kann es Ihnen nicht verdenken, dass Sie keine Ahnung hatten.«
»Aber es tut Ihnen weh, dass ich mich für Mitch entschieden habe.«
»Dass es weh tut, kann ich nicht leugnen. Aber es hat keinen Einfluss auf mein wissenschaftliches Urteil.«
Kaye ging um den Tisch herum und schüttelte den Kopf. »Was können wir denn jetzt noch retten?«
»Sie können Ihre Begründung vortragen. Ich glaube nur nicht, dass sie überzeugen wird.« Er wandte sich mit einem Ruck um und verließ die Kantine.
Kaye brachte ihr Tablett zum Geschirrtransportband. Dann sah sie auf die Uhr. Sie brauchte jetzt eine kräftige Dosis persönlicher Zuwendung, ein Gegenüber. Luella Hamilton fiel ihr ein. Sie konnte es gerade noch schaffen, zu den NIH hinauszufahren, sich mit Luella zu unterhalten und bis zur Besprechung wieder zurück zu sein.
An der Rezeption des Sicherheitsdienstes bestellte sie sich einen firmeneigenen Wagen.
58
Beresford, Staat New York
Mitch trat unter dem weißen Zeltdach hervor, das den denkmalgeschützten Bahnhof der Kleinstadt Beresford überspannte. Die Augen mit einer Hand vor der Morgensonne schützend, sah er vor sich ein Beet voll hellgelber Osterglocken; daneben stand eine knallrote Mülltonne. Er war der Einzige, der hier ausstieg. Es roch nach heißem Maschinenöl, Asphalt und frisch gemähtem Gras. Er hielt Ausschau, ob ihn jemand abholte – er rechnete mit Merton.
Jenseits der Schienen, zu erreichen über eine Fußgängerbrücke, lag der Ort, eigentlich kaum mehr als eine Reihe von Läden und der Bahnhofsparkplatz.
Ein schwarzer Lexus bog in den Parkplatz ein; Mitch sah, wie ein rothaariger Mann ausstieg, durch den Maschendrahtzaun des Bahngeländes spähte und winkte.
»Er heißt William Daney. Ihm gehört der größte Teil von Beresford – das heißt, seiner Familie. Etwa zehn Minuten von hier haben sie ein Anwesen, das es mit dem Buckingham Palace aufnehmen kann. In meiner Naivität hatte ich vergessen, was für eine Art Königtum Amerika hervorbringt – altes Geld, auf seltsame Weise angelegt.«
Mitch hörte Mertons Erzählungen zu, während der Journalist mit ihm eine gewundene, zweispurige Allee mit großartigen Laubbäumen entlang fuhr. Die frischen Blätter der Ahornbäume und Eichen leuchteten so kräftig grün, dass er sich vorkam wie in einem Film. Die Sonne warf goldene Flecken auf die Straße. Seit fünf Minuten war ihnen kein anderes Auto begegnet.
»Daney war früher Jachteigner. Hat Millionen
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