Das Darwin-Virus
fragte Kaye mit erstickter Stimme.
»Bisher gibt es keine Erklärung, wie eine Bombe trotz schärfster Sicherheitsmaßnahmen ins Weiße Haus geschmuggelt werden konnte. Wir schalten jetzt zu Frank Sesno vor dem Weißen Haus.«
Kaye befreite sich aus Mitchs Arm. »Entschuldigung«, sagte sie, »Ich muss noch mal ins Badezimmer.«
»Fehlt dir etwas?«
»Mir geht’s gut.« Sie schloss die Tür und verriegelte sie, holte tief Luft und nahm das Papiertuch weg. Die zehn Minuten waren vorüber.
»Fehlt dir auch ganz sicher nichts?«, rief Mitch von draußen.
Kaye hielt den Streifen gegen das Licht und betrachtete die beiden ersten Testfelder. Das erste war blau. Das zweite war blau. Sie las sich noch einmal die Gebrauchsanleitung durch, verglich die Farben und lehnte sich mit dem Ellenbogen gegen die Tür. Ihr war schwindlig.
»Es ist passiert«, sagte sie leise. Sie richtete sich auf und dachte: Es sind entsetzliche Zeiten. Warte noch. Warte noch, wenn es irgendwie geht.
»Kaye!« Mitchs Stimme klang fast panisch. Er brauchte sie, brauchte ein wenig Geborgenheit. Sie beugte sich über das Waschbecken, konnte sich kaum aufrecht halten, so stark war die Mischung aus Entsetzen, Erleichterung und Staunen über das, was sie getan hatten, was die Welt tat.
Sie öffnete die Tür und sah, dass Mitch Tränen in den Augen hatte.
»Dabei habe ich ihn nicht mal gewählt«, sagte er mit bebenden Lippen.
Kaye nahm ihn fest in die Arme. Der Tod des Präsidenten war bedeutsam, wichtig, folgenschwer, aber das konnte sie bisher nicht empfinden. Ihre Gefühle waren woanders – bei Mitch, bei seiner Mutter, seinem Vater, ihren eigenen abwesenden Eltern; sogar für sich selbst spürte sie eine gewisse Besorgnis, aber seltsamerweise keine richtige Verbindung zu dem Leben in ihrem Inneren.
Noch nicht.
Es war noch nicht das richtige Baby.
Noch nicht.
Du darfst es nicht lieben. Dieses hier darfst du nicht lieben. Liebe nur das, was es tut, was es in sich trägt.
Während sie Mitch festhielt und seinen Rücken tätschelte, wurde sie ohnmächtig. Mitch trug sie ins Schlafzimmer und brachte ihr ein feuchtes Tuch.
Eine Zeit lang trieb sie in einsamer Dunkelheit, aber dann wurde ihr bewusst, dass sie einen trockenen Mund hatte. Sie räusperte sich und öffnete die Augen.
Sie sah ihren Mann an und versuchte seine Hand zu küssen, während er mit dem Tuch über ihre Wangen und das Kinn strich.
»So dumm«, sagte sie.
»Ich?«
»Ich. Ich dachte, ich sei stark.«
»Du bist stark.«
»Ich liebe dich.« Mehr brachte sie nicht heraus.
Mitch sah, dass sie fest schlief. Er breitete die Bettdecke über sie, schaltete das Licht aus und ging wieder ins Wohnzimmer. Die Wohnung wirkte jetzt ganz anders. Die sommerliche Dämmerung fiel durch die Fenster und warf eine märchenhafte Blässe auf die gegenüberliegende Wand. Er setzte sich in den verschlissenen Sessel vor dem Fernseher, dessen leise gestellter Ton in dem stillen Zimmer dennoch deutlich zu hören war.
»Gouverneur Harris hat den Notstand ausgerufen und die Nationalgarde mobilisiert. Für Werktage ab neunzehn Uhr sowie samstags und sonntags ab siebzehn Uhr wurde eine Ausgangssperre verhängt. Sollte auf Bundesebene das Kriegsrecht in Kraft gesetzt werden, was der Vizepräsident vermutlich schon sehr bald tun wird, sind im ganzen Land Versammlungen an öffentlichen Plätzen nur noch mit einer Sondererlaubnis der Notstandsbehörden in den einzelnen Gemeinden gestattet. Der staatlich erklärte Notstand ist zeitlich nicht befristet; es handelt sich nach offiziellen Angaben einerseits um eine Reaktion auf die Lage in der Bundeshauptstadt, andererseits aber auch um den Versuch, die fortgesetzten, ungewöhnlichen Unruhen im Staat Washington unter Kontrolle zu bringen …«
Mitch klopfte sich mit dem PlastikTeststreifen ans Kinn. Er schaltete von einem Kanal zum anderen, nur um sich das Gefühl zu verschaffen, er habe etwas unter Kontrolle.
»… ist tot. Der Präsident und fünf von zehn Gouverneuren der Bundesstaaten wurden heute Morgen im Lageraum des Weißen Hauses getötet …«
Wieder drückte er die Taste auf der kleinen Fernbedienung.
»… der Gouverneur von Alabama, Abraham C. Darzelle, Anführer der so genannten Bundesstaatenrevolte, umarmte den Präsidenten der Vereinigten Staaten unmittelbar vor der Explosion.
Sowohl die Gouverneure von Alabama und Florida als auch der Präsident selbst wurden durch die Detonation in Stücke gerissen …«
Mitch schaltete den
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