Das Dekameron
noch um soviel besser, als sie dem obersten Hirten näher steht. Willst du also meinem Rate folgen, so versparst du dir diese Mühe auf ein andermal zu einer Wallfahrt, und alsdann ist es leicht möglich, daß ich selbst dich begleite.«
Der Jude antwortete ihm: »Jeannot, ich bin überzeugt, daß es sich verhält, wie du sagst. Ich bin aber, um es mit einem Worte zu sagen, völlig entschlossen zu reisen, wenn anders du noch wünschst, daß ich deinen vielen Bitten nachgebe. Ohne das werde ich mich niemals taufen lassen.« Als Jeannot sah, daß er auf seinem Willen beharrte, sagte er: »Nun, so reise mit Gott.« Bei sich aber dachte er, Abraham werde, wenn er erst den römischen Hof gesehen habe, nie und nimmer ein Christ werden. Da es ihn aber weiter nichts anging, so ließ er ihn gewähren.
Der Jude stieg zu Pferde und eilte nach Rom, so rasch er konnte. Am Ziel angelangt, ward er von seinen Glaubensgenossen auf das ehrenvollste empfangen. Er aber begann, ohne über den Zweck seiner Reise jemandem etwas zu sagen, mit aller Vorsicht das Leben des Papstes, der Kardinäle und der übrigen Prälaten und Hofleute zu beobachten. Was er, von einem nicht gewöhnlichen Scharfblick unterstützt, selbst wahrnahm, und was er hier und da von ändern erfuhr, überzeugte ihn nun bald, daß sie allesamt der Wollust, und zwar nicht nur der natürlichen, sondern auch der sodomitischen, frönten, ohne sich irgend Zaum und Zügel von Scham oder Schande anlegen zu lassen, so daß in den wichtigsten Angelegenheiten der Einfluß der feilen Dirnen und der Knaben von nicht geringer Wichtigkeit war. Außerdem fand er in ihnen insgeheim Schlemmer, Säufer, Trunkenbolde und Geschöpfe, die nach Art der unvernünftigen Tiere nächst der Wollust mehr dem Bauche als irgend etwas anderem gehorchten. Bei genauerer Betrachtung lernte er sie noch außerdem als so geizig und geldgierig kennen, daß sie mit Menschen-, ja mit Christenblut und mit den heiligsten Dingen, Opfern, geistlichen Pfründen oder welcher Art sie immer sein mochten, um Geld einen abscheulichen Handel trieben. Ärger sah er sie dabei markten und mehr Makler beschäftigen als jemals in Paris beim Verkauf der Tücher oder irgendeiner ändern Ware. Offenbare Bestechung hörte er Fürsprache und unverschämte Gierigkeit Diäten nennen, als ob Gott nicht den bösen Willen im verworfenen Herzen, geschweige denn den wahren Sinn der Worte erkennte und nach Art der Menschen sich durch den Namen der Dinge täuschen ließe. Alles dies und noch manches andere, das ich besser verschweige, mißfiel unserem Juden, der ein sittenreiner und gesetzter Mann war, auf das äußerste, und da er genug gesehen zu haben glaubte, beschloß er, nach Paris zurückzukehren, und tat also.
Sobald Jeannot seine Rückkehr erfahren hatte, besuchte er ihn, ohne einige Hoffnung, daß Abraham Christ würde, und beide freuten sich herzlich des Wiedersehens. Als er indes sich einige Tage ausgeruht hatte, fragte ihn Jeannot, was er nun von dem Heiligen Vater, von den Kardinälen und anderen Hofleuten denke. Schnell antwortete der Jude: »Nichts Gutes denke ich von ihnen, und nichts Gutes haben sie von Gott zu erhoffen. Und ich sage dir, ich müßte mich sehr getäuscht haben, aber ich habe dort an keinem Geistlichen eine Spur von Frömmigkeit, Andacht, guten Werken, musterhaftem Wandel oder dergleichen mehr bemerkt. Wohl aber sah ich, wie Wollust, Geiz,
Völlerei und andere und schlimmere Laster, wenn es schlimmere gibt, bei ihnen so beliebt waren, daß ich jene Stadt eher für eine Werkstätte des Teufels als Gottes halte. Auch scheint es mir, nach meinem Dafürhalten, daß sowohl euer Oberhirt als auch die übrigen insgesamt nach seinem Beispiele mit allem Eifer, allem Scharfsinn und aller Mühe bestrebt sind, die christliche Religion, deren Grundpfeiler und Stützen sie zu sein berufen wären, ganz zu zerstören und aus der Welt zu vertreiben.
Da ich nun aber sehe, daß nicht geschieht, worauf jene hinarbeiten, sondern daß eure Religion sich vielmehr täglich weiter ausbreitet, glänzender und herrlicher erscheint, so muß ich wohl zu erkennen glauben, daß der Heilige Geist sie als heilig und wahrhaftig vor allen ändern stützt und aufrecht erhält. Aus diesem Grunde sage ich dir jetzt klar und offen: so wenig ich früher deinen Aufforderungen, Christ zu werden, Gehör schenkte, so wenig kann mich jetzt etwas auf der Welt von meinem Vorsatz abhalten, den christlichen Glauben anzunehmen. Laß uns also schnell
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