Das Dekameron
worden.
Schon von ferne zeigte der Bischof sie dem Marschall; als sie aber näher gekommen waren, legte er ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Nonna, was hältst du von diesem hier? Getrautest du dich, mit ihm fertig zu werden?« Nonna war der Meinung, daß diese Worte ihre Sittsamkeit antasteten und geeignet seien, sie in der Meinung derer, welche sie gehört hatten - und es waren viele -, zu beflecken. Indes hielt sie es für geraten, nicht jenen Makel von sich abzuwaschen, sondern Stich mit Stich zu vergelten, und antwortete sogleich: »Herr, vielleicht würde er nicht mit mir fertig werden. Jedenfalls aber müßte er mir gutes Geld geben.«
Als Marschall und Bischof diese Antwort vernahmen, fühlten sich beide getroffen: der eine wegen der Unsittlichkeit, deren er sich gegen die Enkelin des Bruders des Bischofs schuldig gemacht hatte; der andere, weil ihm diese Schmach in der Enkelin des eigenen Bruders angetan worden war. Und so ritten sie beide, ohne einander anzuschauen, schweigsam und beschämt ihres Weges, ohne jenen Tag über weiter zu reden.
Der jungen Dame aber gereichte es nicht zum Vorwurf, daß sie, nachdem man sie angegriffen hatte, den Angriff durch einen beißenden Einfall ab wehrte.
Vierte Geschichte
Chichibio, der Koch des Currado Gianfigliazzi, verwandelt durch einen schnellen Einfall den Zorn des Currado in Gelächter und rettet sich vor dem Unheil, mit dem dieser ihn schon bedroht hatte.
Schon schwieg Lauretta, und die Nonna war von allen auf das höchste gelobt worden, als die Königin der Neifile fortzufahren gebot. Diese also begann zu sprechen:
Ihr liebreichen Mädchen, obwohl ein schneller Verstand oft dem Redenden je nach den Umständen treffende und kluge Einfälle an die Hand gibt, so kommt doch das Glück zu Zeiten auch den Furchtsamen zu Hilfe und legt ihnen plötzlich Worte auf die Zunge, welche der Sprechende in ruhigen Augenblicken hätte nie zu ersinnen vermocht. Davon denke ich euch durch meine Geschichte ein Beispiel zu geben.
Currado Gianfigliazzi war, wie jede von euch gesehen und gehört haben mag, stets ein gar freigebiger und gastfreier adeliger Bürger unserer Stadt, der - seiner wichtigeren Leistungen für jetzt zu schweigen - ein ritterliches Leben führte und sich stets mit Hunden und Beizvögeln vergnügte. Als dieser nun eines Tages unfern von Peretola mit einem seiner Falken einen Kranich getötet und diesen jung und fett gefunden hatte, schickte er ihn seinem guten Koch, der Chichibio hieß und ein Venezianer war, und ließ ihm sagen, daß er ihn zum Abendessen braten und wohl zubereiten solle. Chichibio, der wie ein Bruder Leichtfuß aussah und auch wirklich einer war, rupfte den Kranich, steckte ihn an den Spieß und begann ihn sorgsam zu braten. Fast war er schon gar und verbreitete einen prächtigen Wohlgeruch, als ein Dirnchen aus der Umgegend, das Brunetta hieß und in das Chichibio gewaltig verliebt war, in die Küche trat. Kaum roch sie den Duft des Bratens und sah den Kranich am Spieß, so gab sie dem Chichibio die besten Worte, daß er ihr einen Schenkel davon abschneiden möchte. Chichibio antwortete singend: »Ihr kriegt ihn nicht, Donna Brunetta, Ihr kriegt ihn nicht von mir.« Darüber wurde denn das Dirnchen ganz zornig und sagte: »Nun, so wahr wie Gott lebt, gibst du mir nicht einen Schenkel, so kriegst du von mir nicht das mindeste, wozu auch immer du Lust haben magst.« Am Ende löste Chichibio, um sein Mädchen nicht böse zu machen, wirklich einen Schenkel ab und gab ihn ihr.
Als indes dem Currado und seinen paar Gästen der Kranich mit einem Schenkel vorgesetzt ward, ließ jener voll Erstaunen den Chichibio rufen und fragte ihn, was mit dem ändern Schenkel geworden sei. Der lügenhafte Venezianer antwortete sogleich: »Herr, die Kraniche haben nur einen Schenkel und ein Bein.« Zornig erwiderte Currado: »Was, zum Teufel, sie hätten nur einen Schenkel und ein Bein? Als ob das der erste Kranich wäre, den ich zu sehen bekomme!« Chichibio aber blieb dabei und sprach: »Herr, es ist so, wie ich Euch sage, und beliebt es Euch, so werde ich es Euch an den lebendigen zeigen.« Currado wollte mit Rücksicht auf die Fremden, die er bei sich hatte, den Wortwechsel nicht weiter fortsetzen; darum antwortete er: »Weil du denn sagst, daß du mir an den lebendigen Vögeln zeigen willst, was ich allerdings noch nie gesehen oder von ändern gehört habe, so will ich mir morgen früh die Sache ansehen. Aber beim Leibe
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