Das Dekameron
Christi, das schwöre ich dir, wenn es sich anders verhält, so lasse ich dich zurichten, daß du mich dein Leben lang in schlechter Erinnerung behalten sollst.«
So endete der Streit für diesen Abend. Am ändern Morgen aber erhob sich Currado bei Tagesanbruch noch gar zornig, denn der Ärger hatte ihn nicht schlafen lassen, und gebot, daß die Pferde vorgeführt würden. Dann ließ er den Chichibio auf ein Rößlein aufsitzen und ritt mit ihm nach einer Niederung, wo man am Flußufer in der Morgenfrühe Kraniche anzutreffen pflegte. Im Reiten aber sagte er: »Nun werden wir ja sehen, wer gestern gelogen hat, ich oder du.«
Als Chichibio merkte, daß Currados Zorn noch andauerte und er seiner Lüge überführt werden sollte, ritt er in der größten Angst von der Welt hinter Currado her und wäre gern geflohen, wenn es sich hätte tun lassen. Da sich aber dazu keine Gelegenheit bot, blickte er bald vor-, bald rückwärts, bald nach beiden Seiten, und alles, was ihm vor die Augen kam, schien ihm auszusehen wie Kraniche, die auf zwei Beinen standen. Endlich, als sie schon in die Nähe des Flusses gelangt waren, erblickte er, früher als einer der übrigen, am Ufer wohl ein Dutzend Kraniche, die sämtlich, wie diese Vögel schlafend zu tun pflegen, auf einem Beine standen. Da zeigte er sie schleunigst dem Messer Currado und rief: »Herr, nun könnt Ihr deutlich erkennen, daß ich Euch gestern abend die Wahrheit gesagt habe, wenn ich behauptete, die Kraniche hätten nur einen Schenkel und ein Bein. Seht nur die alle, die dort stehen.« Als Currado sie gewahr wurde, sagte er: »Warte nur, ich will dir schon zeigen, daß sie ihrer zweie haben.« Und indem er ein wenig näher heranritt, rief er: »Ho, ho!« Aufgeschreckt durch diesen Ruf, ließen die Kraniche alsbald den ändern Fuß nieder und flogen nach wenigen Schritten alle davon. Da wandte sich Currado zu Chichibio und sprach: »Nun, du Naschmaul, was meinst du jetzt? Glaubst du nun, daß sie zwei Beine haben?« Chichibio war ganz bestürzt, und ohne selbst zu wissen, woher ihm die Antwort zufiel, entgegnete er: »Freilich, Herr, freilich, aber dem Kranich von gestern habt Ihr nicht >Ho, ho! < zugerufen; denn hättet Ihr das getan, hätte er sicher das andere Bein ebenso ausgestreckt, wie vorhin diese hier.«
Den Currado ergötzte diese Antwort so sehr, daß all sein Zorn sich in Scherz und Lachen verkehrte, und er antwortete: »Chichibio, du hast recht, das hätte ich freilich tun sollen.« So also entging Chichibio durch eine schnelle und scherzhafte Erwiderung dem Unheil und wendete den Zorn seines Herrn von sich ab.
Fünfte Geschichte
Messer Forese da Rabatta und Meister Giotto, der Maler, die beide von Mugello zurückkommen, machen sich gegenseitig über ihr unscheinbares Aussehen lustig.
Als Neifile schwieg und die Damen an der Antwort des Chichibio noch viel Gefallen geäußert hatten, begann Panfilo nach dem Gebot der Königin also zu reden:
So wie zuweilen Fortuna die größten Fähigkeiten und Verstandeskräfte unter einem bescheidenen Gewerbe verbirgt, geschieht es auch oft, daß die Natur die erstaunlichsten Geistesgaben mit den abschreckendsten Körperformen paart. Dies wird an zweien unserer Mitbürger deutlich, von denen ich euch sogleich zu erzählen gedenke.
Der eine von ihnen, welcher Messer Forese da Rabatta genannt ward, war von so kleinem mißgestaltetem Wüchse und hatte ein so plattgedrücktes Gesicht mit aufgeworfener Nase, daß der Häßlichste unter den Baronci es für eine Schmach gehalten haben würde, mit ihm zu tauschen. Dennoch war er in allen Gesetzesfragen mit so tiefer Einsicht begabt, daß er von vielen kundigen Männern eine Fundgrube der Rechtsgelehrsamkeit genannt wurde.
Der Name des ändern war Giotto, und er war mit so vorzüglichen Talenten begabt, daß die Natur, welche die Mutter aller Dinge ist, deren fortwährendes Gedeihen durch das unablässige Kreisen der Himmel bewirkt wird, nichts hervorbringt, was er mit Griffel, Feder oder Pinsel nicht dem Urbild so ähnlich darzustellen gewußt hätte, daß es nicht als ein Abbild, sondern als die Sache selbst erschienen wäre, weshalb denn der Gesichtssinn der Menschen nicht selten irregeleitet ward und für wirklich hielt, was nur gemalt war. Mit Recht kann man ihn als einen der ersten Sterne des florentinischen Ruhmes bezeichnen, denn er ist es gewesen, der die Kunst wieder zu neuem Lichte erhoben hat, nachdem sie Jahrhunderte lang wie begraben unter den
Weitere Kostenlose Bücher